Die Kartause von Parma
Beyles Briefe aus dieser Zeit verraten nichts über dieses Werk. Im Buche selbst deutet eine unverständliche Anmerkung (am Schlusse von Kapitel 3) auf die Entstehungszeit: ›Para v.P.y.E.15.X.38‹. Und am 21. März 1839 schreibt Stendhal seiner Freundin Giulia Gaulthier: ›Ich habe noch keine Zeit gehabt, mich bei jener mutigen Frau (der Gräfin Tascher) einzufinden, die ich aus tiefstem Herzen bewundere. Mir brennt es sozusagen auf den Nägeln. Das will sagen: ich komme vor acht Uhr abends nicht zum Essen, und um Mitternacht nehme ich die Arbeit wieder auf, bis drei Uhr morgens. Aber am Dienstag (den 26.) werde ich erlöst sein!‹
Beyle arbeitete damals fünfzehn Stunden am Tage; Es kam ihm darauf an, den Roman vor seiner drohenden Wiederabreise nach Civitavecchia zu vollenden und dem Drück zu übergeben.
Wertvolle Aufschlüsse enthält Beyles berühmter Brief an Honoré de Balzac vom 30. Oktober 1840. Er hatte dem ›Könige der Romandichter unseres Jahrhunderts‹ (wie er ihn im Begleitbriefchen nennt) ein Exemplar der ›Kartause‹ am 17. Mai 1839 übersandt, am gleichen Tage, da er im ›Constitutionnel‹ die Episode von Waterloo als Kostprobe seines Werkes veröffentlichte. Balzac antwortete drei Tage darauf mit Worten aufrichtiger Bewunderung, und am 6. April des nächsten Jahres versichert er Beyle, die ›Kartause‹ sei ›ein großes, schönes Buch, wie er es nicht imstande sei zu schaffen‹. Im September 1840 erschien sodann der berühmte Essay Balzacs über die Chartreuse de Parme in der ›Revue Parisienne‹. In seinem Dankschreiben macht Beyle folgende Geständnisse:
›Ich muß Ihnen bekennen, daß ich seinerzeit bei der Niederschrift der ersten vierundfünfzig Seiten (der Erstausgabe) den lebhaftesten Genuß verspürt habe. Ich erzählte da von Dingen, die ich anbete, und ich habe dabei an nichts weniger gedacht als an die Kunst, einen Roman zu schreiben. Ich war des Glaubens, vor 1880 doch nichtgelesen zu werden. So weit hinaus verlegte ich die Autorfreuden. Irgendein Literaturschnüffler, so sagte ich mir, wird dermaleinst das Buch ausgraben, das Sie so seltsamer Weise überschätzen. Aber da Sie sich die Mühe gemacht haben, diesen Roman dreimal zu lesen, so hege ich die Absicht, bei unserer nächsten Begegnung auf dem Boulevard eine Menge Fragen an Sie zu richten:
1. Ist es statthaft, Fabrizzio ›unseren Helden‹ zu nennen? Ich wollte den Namen Fabrizzio nicht so häufig wiederholen.
2. Muß die Fausta-Episode gestrichen werden? Sie ist mir in der Niederschrift etwas breit geraten. Fabrizzio benutzt die erste beste Gelegenheit, der Duchezza zu zeigen, daß er der Liebe unfähig sei.
Jene vierundfünfzig Seiten sind mir wie eine anmutige Einleitung vorgekommen. Wie gesagt, es war mir eine zu große Freude, von den glücklichen Zeiten meiner Jugend zu plaudern. Als ich die Korrektur las, stiegen mir allerdings Bedenken auf, aber ich dachte an die so langweiligen ersten Kapitel bei Walter Scott und an den überlangen Anfang der göttlichen ›Prinzessin von Cleve‹ (der Madame de Lafayette).
Ich habe verschiedentliche Romanpläne entworfen; das kann ich nicht in Abrede stellen. Aber das Planmachen erstarrt mich. Gewöhnlich diktiere ich fünfundzwanzig bis dreißig Seiten. Wenn es dann Abend wird, habe ich das Bedürfnis nach etwas starker Ablenkung. Am anderen Morgen muß ich alles vergessen haben. Indem ich die letzten drei oder vier Seiten des Kapitels vom Tag zuvor wieder lese, fällt mir das neue Kapitel ein. Es ist mein Unglück hier (in Civitavecchia), daß mein Gehirn gar keine Anregung findet.
Ich verabscheue den geschraubten Stil (le style contourné), und ich will Ihnen gestehen, daß ein guter Teil der ›Kartause‹ nach dem ersten Diktat gedruckt worden ist. Ich habe insgesamt sechzig- bis siebzigmal diktiert. Die Ideen drängten mich. Das ganze Stück, das sich im Kerker abspielt,war mir abhanden gekommen, und ich war gezwungen, es ein zweites Mal zu machen. Aber was nützen Ihnen diese Einzelheiten?
Ich glaube, seit dem Untergange des Hofes, im Jahre 1792, schwindet das Gefühl für die (präzise) Form von Tag zu Tag mehr. Wenn Villemain, den ich als hervorragendsten Akademiker anführe, die ›Kartause von Parma‹ ins Französische übersetzen sollte, so brauchte er drei Bände, um auszudrücken, was in zweien vorliegt. Überschwang und Schwulst werden von der Masse der Schelme derart betrieben, daß man den deklamatorischen Stil alsbald hassen wird.
Als ich
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