Die Kartause von Parma
Handschriften machen lassen, die dreizehn Foliobände füllen. Sie sind später (1851) aus seinem Nachlasse von der Pariser Nationalbibliothek angekauft worden. In einem dieser Folianten findet sich ein Bericht: ›Aus der Jugend des Papstes Paul III.‹ Ganz wie Fabrizzio in der ›Kartause von Parma‹ gerät der junge Farnese, als er Ausgrabungen bei Rom beaufsichtigt, wegen einer hübschen Frau mit deren Begleiter in Händel und ersticht ihn im Kampfe. Daraufhin kommt er in Haft in die Engelsburg, ganz wie Fabrizzio in die Torre Farnese, die übrigens nichts ist als das von Rom nach Parma verlegte Castello Sant' Angelo. Und ganz wie der künftige Papst entkommt Fabrizzio, der künftige Erzbischof, mit Hilfe eines langen Seiles (das im Falle Farnese an die neunzig Meter lang gewesen sein soll) in kühnster Weise aus dem Kerker.
Alessandro Farnese (geboren 1468) war der Enkel von Ranuccio Farnese, einem berühmten General, und der Sohn von Pier Luigi Farnese. Eine jüngere Schwester von Alessandro war Julia Farnese, die um 1489 die Geliebte des Kardinals Roderigo Borgia, des nachmaligen Papstes Alexander VI. (1492–1503), wurde, auf den wir in der Folge zu sprechen kommen.
In der gleichen Zeit lebte das Urbild der Hauptgestalt in der ›Kartause von Parma‹, die Duchezza Gina di Sanseverina: Giovanna Catanei, genannt Vannozza, eine Römerin, geboren im Juli 1442, gestorben in Rom am 26. November 1518, begraben in der Santa Maria del Popolo. In der besagten alten Chronik wird von ihr erzählt: ›Vannozza kam oft vom Lande zu Besuch nach Rom, wo sie im Hause ihres Bruders oder ihrer Schwester weilte. Sie nahm zu an Schönheit und Anmut und ward bald zum Wunder der Hauptstadt der Welt und zum Anlaß des erstaunlichen Glückes ihrer Familie. Keine Frau, weder aus dem Adel noch aus dem Bürgerstande noch aus der ungeheueren Schar der vornehmen Buhlerinnen, deren Schönheit und Reichtum die Bewunderung der Fremden erregte, konnte den Vergleich mit Vannozza im geringsten aushalten. Und selbst wenn sie nichts von dieser göttlichen Schönheit besessen hätte, die so ruhig, so edel, so hinreißend war und die sie so manches Jahr hindurch, ja, man kann ohne Übertreibung sagen, bis zum Augenblicke ihres Todes, zur Königin Roms machte, so wäre sie doch eine der gesuchtesten Frauen gewesen wegen des liebreizenden Vulkans von neuen und glänzenden Gedanken, die ihr die fruchtbarste und fröhlichste Einbildung lieferte, die es je gegeben.
Vannozza war eine der vielen Geliebten des bereits genannten Kardinals Roderigo Borgia, des berühmtesten aller Genußmenschen, eines ›großen Mannes, der die am wenigsten mißlungene Inkarnation des Teufels auf Erden gewesen ist‹, um Worte Stendhals (Promenades dans Rome II, 192) anzuwenden. Vannozza ist die Mutter desCesare und der Lucrezia Borgia. Über ihren Charakter, ihr Leben und ihre Leidenschaften unterrichtet uns das bekannte Buch ›Lucrezia Borgia‹ (1874) von Ferdinand Gregorovius. Ihre Liebschaft mit Roderigo endete, als sie vierzig Jahre alt war.
Jenen Chroniken ist fernerhin die Episode der Fausta (S. 262 ff.) in ihren Grundzügen entnommen. Dort trägt diese den Namen Anna Brocchi. Die Geschichte widerfährt dem verliebten Kardinal Pietro Aldobrandini, unter dem Pontifikat von Klemens VIII. (1592-1605). Der Liebhaber hieß Girolamo Langobardi. Einige Stellen aus dem alten Bericht findet man im Anhange, in den Anmerkungen zu Seite 262 ff. Der Vergleich beleuchtet Stendhals Arbeitsweise auf das anschaulichste.
Eine vierte Gestalt des Romans, der Dichter und Rebell Ferrante Palla (S. 435 ff.), hat seinen geschichtlichen Vorgänger in dem 1644 in Avignon enthaupteten unglücklichen Verfasser politischer Romane Ferrante Pallavicini aus Piacenza. Alle diese Menschen längst vergangener Tage hat Stendhal in das neunzehnte Jahrhundert versetzt. Es hängt ihnen noch so mancherlei aus ihrem Vorleben an. Im Zusammenhang damit erscheint einem der im Roman geschilderte Fürstenmord (S. 489) mit allen seinen Motiven und Umständen als Anachronismus, wenngleich das Italien des vergangenen Jahrhunderts an Fürstenmördern nicht arm war. Hier erlebt der wilde Fanatismus der Florentiner des Mittelalters, die im Tyrannenmord ein offen eingestandenes Ideal erblickten, eine merkwürdige dichterische Nachblüte.
Nicht minder als die Gestalten sind die Schauplätze der ›Kartause von Parma‹ nach der Natur studiert. Sie wechseln vielfach. Die Geschehnisse spielen sich auf den
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