Die Kartause von Parma
spielte; der Graf, der wie alle Verliebten nicht reinen Mund halten konnte, hatte ihr nämlich alles erzählt. Sie konnte sich an dieses Unglück nicht gewöhnen. Ihr Abgott hatte einen Makel. Schließlich fragte sie in einem Augenblick guten Einvernehmens den Grafen um Rat. Das war für ihn ein köstlicher Augenblick und eine schöne Belohnung für die ehrenwerte Regung, die ihn nach Parma zurückgeführt hatte.
»Nichts ist einfacher als das!« meinte Mosca lachend.»Die jungen Männer begehren alle Frauen, und am Tag darauf denken sie nicht mehr an sie. Könnte er nicht nach Belgirate gehen und der Marchesa del Dongo einen Besuch abstatten? Während seiner Abwesenheit werde ich die Komödiantentruppe ersuchen, ihre Künste anderswo zu zeigen. Die Reisekosten will ich ihr bezahlen. Aber geben Sie acht: binnen kurzem werden wir ihn in das erste beste andere hübsche Weib verliebt sehen, das der Zufall über seinen Weg führt. Das ist ganz in der Ordnung, und ich möchte gar nicht, daß es anders wäre. – Nötigenfalls veranlassen Sie die Marchesa, ihm zu schreiben.«
Dieser Vorschlag, den er mit völlig gleichgültiger Miene machte, war für die Duchezza ein Lichtblick: sie hatte Angst vor Giletti. Am Abend bemerkte der Graf beiläufig, daß ein Eilbote, der von Wien gekommen sei, nach Mailand weiterginge. Drei Tage darauf empfing Fabrizzio einen Brief von seiner Mutter. Er reiste ab, sehr ärgerlich darüber, daß er, dank Gilettis Eifersucht, nichts mehr von der liebevollen Gesinnung haben durfte, deren ihn die kleine Marietta durch ihre Mammaccia, eine alte Komödiantenmutter, hatte versichern lassen.
In Belgirate traf Fabrizzio seine Mutter und seine Schwestern. Belgirate ist ein großes piemontesisches Dorf am westlichen Ufer des Lago Maggiore; das östliche gehört den Mailändern oder richtiger den Österreichern. Dieser See, der sich gleichlaufend dem Corner See von Norden nach Süden erstreckt, liegt etwa zwölf Meilen westlicher. Die Gebirgsluft, der erhabene und friedliche Anblick des köstlichen Sees erinnerten Fabrizzio an den anderen See, wo er seine Kindheit verlebt hatte; alles das wirkte zusammen, seinen Kummer und Groll in sanfte Schwermut aufzulösen. Jetzt mischte sich in die Erinnerung an die Duchezza eine namenlose Zärtlichkeit; es war ihm, als ob ihn fern von ihr jene Liebe ergriffe, die er niemals für ein Weib empfunden hatte. Nichts wäre ihm unerträglicher gewesen, als auf ewig von ihr getrenntzu sein. Hätte sich die Duchezza herabgelassen, auch nur ganz wenig Koketterie zu Hilfe zu nehmen, so hätte sie sich sein Herz erobert, zum Beispiel, wenn sie ihm einen Nebenbuhler gegenübergestellt hätte. Weit entfernt, einen so entscheidenden Entschluß zu fassen, ertappte sie sich, nicht ohne heftige Selbstvorwürfe, doch dabei, wie ihre Gedanken immer der Reise des jungen Wandersmannes nachschwebten. Sie warf sich das vor, was sie noch eine Laune nannte, als wäre es ein Greuel. Sie verdoppelte ihre Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit gegen den Grafen, der, von so viel Liebenswürdigkeit hingerissen, nicht auf die Stimme der Vernunft hörte, die ihm eine zweite Reise nach Bologna anbefahl.
Die Marchesa del Dongo konnte ihrem Lieblingssohne nur drei Tage widmen, da die Vermählung ihrer ältesten Tochter mit einem Mailänder Principe bevorstand. Nie hatte sie Fabrizzio so zärtlich und anhänglich gefunden. Mitten in der Schwermut, die sich seiner Seele mehr und mehr bemächtigte, stieg in ihm ein wirrer und lächerlicher Gedanke auf, den er sofort zur Ausführung brachte. Darf es gesagt werden? Er wollte den Abbate Blanio um Rat fragen. Dieser treffliche alte Mann war zwar unfähig, das Herzeleid einer ebenso jugendlichen wie ungestümen Leidenschaft zu verstehen. Überdies hätte es einer Zeit von acht Tagen bedurft, um ihm alle Rücksichten klar zu machen, die Fabrizzio in Parma zu nehmen hatte. Aber mit dem Einfall, Blanio um Rat zu fragen, fand Fabrizzio die volle Spannkraft eines Sechzehnjährigen wieder. Wird man es glauben? Fabrizzio wollte ihn nicht nur als bedachtsamen Mann und treuen Freund befragen; der Zweck seiner Reise und die Gefühle, die unseren Helden während der fünfzig Stunden ihrer Dauer erfüllten, waren so aberwitzig, daß es zweifellos für die Erzählung besser wäre, sie unerwähnt zu lassen. Ich fürchte, Fabrizzios Aberglaube wird ihm das Wohlwollen der Leser verscherzen. Aber er war nun einmal so.Wozu ihm mehr schmeicheln als anderen? Ich habe weder dem
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