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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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Grafen Mosca noch dem Fürsten geschmeichelt. Um also alles zu berichten: Fabrizzio begleitete seine Mutter bis zum Hafen von Laveno am östlichen Gestade des Lago Maggiore auf österreichischem Gebiet, wo sie gegen acht Uhr abends ausstieg. Man sieht den See als neutrales Gebiet an und verlangt von jemandem, der nicht ans Land geht, keinen Paß. Aber kaum war die Nacht hereingebrochen, da ließ sich Fabrizzio nach demselben österreichischen Ufer hinüberrudern und landete an einer kleinen, waldbedeckten Landspitze. Er mietete sich eine Sediola, eine Art leichten ländlichen zweiräderigen Wagens, mit dem er der Kutsche seiner Mutter in einer Entfernung von fünfhundert Schritt folgen konnte. Er war als Diener mit der Livree der Casa del Dongo verkleidet, und keinem der zahlreichen Zoll- und Polizeibeamten fiel es ein, ihn nach seinem Paß zu fragen.
    Eine viertel Meile vor Como, wo die Marchesa und ihre Töchter übernachten mußten, bog er in einen Seitenpfad linker Hand ein, der um den Ort Vico herum und schließlich auf einen neuerdings dicht am Seeufer angelegten schmalen Weg führte. Es war Mitternacht, und Fabrizzio konnte hoffen, keinem Gendarmen zu begegnen. Die Wipfel der Baumreihen, durch die der kleine Weg hinlief, hoben sich mit den schwarzen Umrissen ihres Blätterwerks vom Sternenzelt ab, das ein leichter Nebel verschleierte. Wasser und Himmel dehnten sich in tiefem Schweigen. Fabrizzios Seele konnte dieser erhabenen Schönheit nicht widerstehen. Er machte Halt und setzte sich auf einen Felsen, der wie ein kleines Vorgebirge in den See ragte. Nichts klang durch die Stille ringsum als der leise Wellenschlag des Sees, der sich gleichmäßig am Gestade brach. Fabrizzio hatte ein italienisches Herz und somit nur manchmal Anfälle von Eitelkeit. Der bloße Anblick erhabener Schönheit rührte ihn und nahm seinem Leid alle Schärfe und Bitternis. Er blieb auf seinem einsamen Felsen, wo er nicht auf Gendarmen zu achtenbrauchte, im Schütze der dunklen Nacht und der grenzenlosen Stille sitzen, und süße Tränen traten ihm in die Augen; dort erlebte er, einsam für sich, die glücklichsten Stunden, die er seit langem gehabt hatte.
    Er faßte den Entschluß, die Duchezza niemals zu belügen, und gerade weil er sie in diesem Augenblick bis zur Vergötterung liebte, gelobte er sich, ihr seine Liebe nie einzugestehen. Nie wollte er das Wort Liebe zu ihr sagen, da das, was man Leidenschaft nennt, seinem Herzen fremd war. Im Überschwang von Edelmut und Mannestugend, der ihn jetzt beseligte, entschloß er sich, ihr bei der ersten Gelegenheit alles zu sagen.
    Nachdem er diesen mutigen Vorsatz einmal fest gefaßt hatte, fühlte er sich wie von einer Zentnerlast befreit. ›Vielleicht wird sie mir ein paar Worte wegen Marietta sagen. Meinetwegen, ich will die kleine Marietta nie wiedersehen‹, gab er sich vergnügt zur Antwort.
    Die schwüle Hitze, die tagsüber geherrscht hatte, begann der frischen Morgenluft zu weichen. Schon erhellte die Dämmerung mit bleichem Schimmer die Zacken der Alpen, die im Norden und gegen Osten des Corner Sees aufragen. Ihre selbst im Juni beschneiten Flächen hoben sich von dem reinen Blau des in jenen ungemessenen Höhen immer klaren Himmels ab. Ein Ausläufer der Alpen wagt sich südwärts in das glückliche Italien vor und trennt die Berge des Comer Sees von denen des Gardasees. Fabrizzios Auge folgte all den herrlichen Spitzen und Kämmen; der heller dämmernde Morgen ließ die trennenden Täler hervortreten und durchleuchtete den leichten Nebel, der aus ihren Gründen emporwallte.
    Endlich machte sich Fabrizzio wieder auf den Weg. Er überschritt den Hügel, der die Halbinsel Durini bildet, und endlich tauchte vor seinen Augen der Turm der Dorfkirche von Grianta auf, wo er so oft mit dem Abbate Blanio die Gestirne beobachtet hatte.
    ›Wie unwissend war ich doch damals!‹ sagte er zu sich. ›Ich konnte nicht einmal das lächerliche Latein jener astrologischenSchriften verstehen, die mein Lehrer studierte. Ich glaube, ich hatte gerade deshalb so große Scheu davor, weil ich nur hier und da ein paar Brocken davon verstand und meine Phantasie damit beschäftigt war, einen Sinn, und zwar einen möglichst verstiegenen, hineinzulegen.‹
    Allmählich nahm seine Träumerei eine andere Richtung. ›Sollte wirklich etwas Wahres in dieser Wissenschaft stecken? Warum sollte sie sich von den anderen unterscheiden? So kommt zum Beispiel ein bestimmter Kreis von Einfaltspinseln und Schwindlern

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