Die Kartause von Parma
im Gesicht verspürt hatte, hegte er unbändige Angst.
»Wir können Reitern begegnen,« sagte der kluge Rosselenker, der an die vier Napoleons dachte, »und unsere Verfolger können ihnen zurufen, sie sollen uns festnehmen.« Das hieß soviel wie: ›Laden Sie Ihre Waffe wieder!‹
»O, wie tapfer du bist, mein kleiner Abbate!« sagte Marietta und umarmte Fabrizzio. Die Alte steckte den Kopf zum Wagenfenster hinaus und hielt Umschau. Nach einer Weile zog sie ihn wieder zurück.
»Kein Mensch verfolgt uns, mein Herr,« sagte sie kaltblütigzu Fabrizzio, »und vor uns ist auch niemand auf der Straße. Sie wissen, wie argwöhnisch die österreichische Polizei ist. Wenn sie uns so im Galopp ankommen sieht, verhaftet sie uns an der Po-Brücke. Das können Sie mir glauben!«
Fabrizzio sah zum Fenster hinaus.
»Trab!« befahl er dem Kutscher. Dann fragte er die Alte: »Was für einen Paß haben Sie?«
»Drei statt einen«, antwortete sie. »Stück für Stück hat uns vier Franken gekostet. Ist das nicht schauderhaft für arme Mimen, die das ganze Jahr unterwegs sind? Hier ist der Paß vom Herrn Schauspieler Giletti; der ist für Sie! Hier sind zwei Pässe für Marietta und für mich. Ach, Giletti hatte unser ganzes Geld in der Tasche! Was soll aus uns werden?«
»Wieviel hatte er?« fragte Fabrizzio.
»Vierzig blitzblanke Skudi!« sagte die Alte.
»Das soll heißen sechs und etwas Kleingeld!« verbesserte Marietta und lachte. »Ich will nicht, daß mein kleiner Abbate betrogen wird.«
»Ist es nicht ganz natürlich, hoher Herr,« fuhr die Alte unverfroren fort, »wenn ich Ihnen vierunddreißig Taler aufzubrummen suche? Was sind vierunddreißig Taler für Sie? Wir aber, wir haben unseren Beschützer verloren. Wer wird uns nun die Wohnungen mieten, mit den Fuhrleuten wegen der Preise handeln, wenn wir unterwegs sind, und aller Welt Angst machen? Giletti war nicht schön, aber er war sehr bequem. Und wäre die Kleine da nicht so albern, sich gleich bis über die Ohren in Sie zu vergaffen, so hätte Giletti nicht das mindeste gemerkt, und Sie hätten uns manchen schönen Taler zustecken können. Wir sind wirklich sehr arm.«
Fabrizzio war gerührt; er zog seine Börse und gab der Alten ein paar Napoleons.
»Sie sehen,« sagte er zu ihr, »mir bleiben nur noch fünfzehn. Es hat also fortan keinen Zweck, mich zu schröpfen.«
Die kleine Marietta fiel ihm um den Hals, und die Alte küßte ihm die Hände. Der Wagen fuhr in gemächlichem Trab weiter. Als man in der Ferne die gelb und schwarz gestreiften Schlagbäume sah, die Zeichen des österreichischen Gebietes, sagte die Alte zu Fabrizzio:
»Es wäre besser, wenn Sie, mit Gilettis Paß in der Tasche, zu Fuß über die Grenze gingen. Wir werden einen Augenblick halten, angeblich, um uns ein bißchen herzurichten. Überdies werden die Zöllner unser Gepäck durchsuchen. Wenn Sie auf mich hören wollen, schlendern Sie gemächlich durch Casalmaggiore. Sie können sogar in ein Kaffeehaus gehen und einen Likör trinken. Sind Sie erst aus dem Ort hinaus, dann nehmen Sie die Beine unter den Arm. Die Polizei ist verdammt wachsam im Lande Österreich. Sie wird sehr bald wissen, daß ein Mann ermordet worden ist. Sie reisen mit einem falschen Paß. Das genügt schon, um zwei Jahre Gefängnis zu kriegen. Wenn Sie die Stadt hinter sich haben, halten Sie auf das rechte Po-Ufer zu, mieten einen Kahn und entwischen nach Ravenna oder Ferrara. Machen Sie, daß Sie möglichst rasch aus dem österreichischen Gebiet hinauskommen. Für zwei Louis können Sie sich von irgendeinem Zollbeamten einen anderen Paß verschaffen. Der da könnte Ihnen verhängnisvoll werden. Vergessen Sie nicht, daß Sie den Mann umgebracht haben!«
Während Fabrizzio zu Fuß auf die Schiffsbrücke von Casalmaggiore zuschritt, studierte er aufmerksam Gilettis Paß. Unser Held hatte eine Heidenangst. Er erinnerte sich deutlich alles dessen, was ihm Graf Mosca über die Gefahr gesagt hatte, die ihm beim Wiederbetreten österreichischen Gebietes drohe. Nun sah er zweihundert Schritt vor sich die schreckliche Brücke, die ihm Einlaß in jenes Land gewähren sollte, dessen Hauptstadt in seinen Augen der Spielberg war. Aber was sollte er sonst machen? Das Herzogtum Modena, das im Süden an das Fürstentum Parma angrenzt, lieferte auf Grund eines Sonderabkommens Flüchtlinge dahin aus. Die Landesgrenzein den Bergen nach der Genueser Seite lag allzu fern. Sein Mißgeschick wäre in Parma bekannt geworden, ehe er jenes
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