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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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gab zwei seltene Gesichter, Die Gefahr macht einen vernünftigen Menschen genial; sie hebt ihn sozusagen über sich selbst empor. Dem Phantasiemenschen gibt sie Romane ein, die wohl kühn sind, aber zumeist unsinnig.
    Die gespannte Miene unseres Helden vor dem prüfenden Blick des Polizeibeamten mit der kupfernen Schmucknadel war sehenswert. ›Wenn ich ihn umbrächte,‹ sagte sich Fabrizzio, ›so würde ich wegen Mordes zu zwanzig Jahren Galeere oder zum Tode verurteilt. Der ist weniger gräßlich als der Spielberg mit einer hundertzwanzigpfündigen Kette an jedem Fuß und einem halben Pfund Brot als einziger Kost. Und das zwanzig Jahre lang; also käme ich erst im Alter von vierundvierzig Jahren wieder frei.‹ Fabrizzio vergaß bei seiner Logik, daß er seinen Paß verbrannt hatte, daß der Polizeibeamte keinesfalls wissen konnte, daß er der Rebell Fabrizzio del Dongo war. Man sieht, unser Held war hinlänglich verängstigt. Er wäre es noch viel mehr gewesen, wenn er gewußt hätte, was für Gedanken den Polizeibeamten beschäftigten. Dieser Mann war ein guter Bekannter Gilettis. Man kann sich sein Erstaunen vorstellen, als er dessen Paß in den Händen eines Fremden sah. Sein erster Gedanke war, den Fremdling festnehmen zu lassen; dann fiel ihm ein,Giletti könne seinen Paß diesem schönen jungen Mann verkauft haben, der augenscheinlich jüngst irgendwelchen üblen Streich in Parma vollführt hatte. ›Wenn ich ihn festnehme,‹ sagte er sich, ›fällt Giletti auch hinein. Man wird mit Leichtigkeit herausbekommen, daß er seinen Paß verkauft hat. Anderseits, was werden meine Vorgesetzten sagen, wenn es ruchbar wird, daß ich, Gilettis Freund, seinen Paß in den Händen eines anderen visiert habe?‹
    Der Beamte stand gähnend auf und sagte zu Fabrizzio: »Warten Sie, mein Herr!« Dann fügte er mit Amtsmiene hinzu: »So schnell geht das nicht!« .
    Fabrizzio sagte bei sich: ›Es wird wohl bei der Flucht bleiben.‹
    In der Tat verließ der Beamte die Kanzlei und ließ die Tür offen. Der Paß blieb auf dem fichtenen Schreibpult liegen. ›Die Gefahr ist offensichtlich‹, dachte Fabrizzio. ›Ich werde meinen Paß nehmen und langsam über die Brücke zurückgehen. Dem Gendarmen werde ich sagen, falls er mich fragt, ich hätte vergessen, meinen Paß im letzten Ort im parmesanischen Gebiete vom Polizeibeamten visieren zu lassen.‹ Fabrizzio hatte bereits seinen Paß in der Hand, als er zu seinem unbeschreiblichen Erstaunen hörte, wie der Mann mit der Nadel sagte: »Bei Gott, ich kann nicht mehr! Die Hitze bringt mich um. Ich werde im Kaffeehaus ein Täßchen genehmigen. Gehen Sie in die Kanzlei, wenn Sie mit Ihrer Pfeife fertig sind! Es ist ein Paß zu visieren. Der Fremde steht drin.«
    Fabrizzio, der sich an die Tür geschlichen hatte, sah sich einem hübschen jungen Mann gegenüber, der trällernd vor sich hin sagte: »Na, visieren wir den Paß! Geben wir unsere Unterschrift! – Wohin will der Herr?«
    »Nach Mantua, Venedig, Ferrara.«
    »Ferrara, gut!« antwortete der Beamte und pfiff vor sich hin. Er nahm einen Stempel, drückte das Visum in blauer Farbe auf den Paß, schrieb rasch die Worte: ›Mantua, Venedig und Ferrara› in den vom Stempel umrahmten Raum, holte mehrfach mit der Hand hoch in der Luftaus, unterschrieb und tauchte die Feder nochmals ein für seinen Schnörkel, den er langsam und mit unendlicher Sorgfalt hinmalte. Fabrizzio folgte allen Bewegungen seiner Feder. Der Unterbeamte liebäugelte selbstzufrieden mit seinem Werk, fügte ihm fünf oder sechs Tüpfelchen hinzu und händigte endlich Fabrizzio den Paß wieder ein, indem er leichthin sagte: »Glückliche Reise, mein Herr!«
    Fabrizzio entfernte sich in einer Gangart, deren Hast er nach Kräften zu verbergen suchte, als er sich am linken Ärmel festgehalten fühlte. Unwillkürlich fuhr er mit der Hand nach dem Griff seines Hirschfängers. Wenn er sich nicht zwischen Häusern gewußt hätte, so hätte er vielleicht eine Unbesonnenheit begangen. Der Mann, der ihn am linken Ärmel gefaßt hatte, sah ein ganz erschrockenes Gesicht und sagte im Ton der Entschuldigung: »Ich habe den Herrn doch dreimal angerufen, habe aber keine Antwort bekommen. Hat der Herr irgend etwas, was auf dem Zollamt verzollt werden muß?«
    »Ich habe nichts als mein Taschentuch bei mir. Ich gehe nur ganz in der Nähe zu einem Verwandten auf die Jagd.«
    Er wäre in arge Verlegenheit geraten, wenn man ihn um den Namen dieses Verwandten ersucht hätte.

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