Die Kartause von Parma
hoben einen langen, acht Fuß tiefen, aber möglichst schmalen Graben aus; man wollte längs der alten Römerstraße die Reste eines zweiten Tempels aufdecken, der nach mündlicher Überlieferung noch im Mittelalter gestanden hatte. Obwohl es Befehl des Fürsten war, sahen mehrere Bauern auf diese langen Gräben, die ihren Grund und Boden durchquerten, mit scheelen Augen. Was man ihnen auch sagen mochte, sie bildeten sich ein, man suche nach einem Schatz, und Fabrizzio kam gerade recht, um einen kleinen Aufstand zu verhindern. Er langweilte sich nicht im geringsten. Leidenschaftlich verfolgte er die Arbeiten. Hin und wieder fand man Münzen, und er ließ den Arbeitern absichtlich keine Zeit, sich untereinander über das Beiseitebringen solcher Funde zu einigen.
Es war ein schöner Tag. Es mochte sechs Uhr morgens sein. Er hatte sich eine alte einläufige Büchse geliehen und schoß ein paar Lerchen. Eine angeschossene fiel auf die große Straße nieder. Als Fabrizzio zu ihr lief, bemerkte er in der Ferne einen Wagen, der von Parma her in der Richtung nach dem Grenzort Casalmaggiore fuhr. Er hatte eben seine Büchse neu geladen, da kam der höchst klapprige Wagen langsam heran, und er erkannte die kleine Marietta. Links und rechts von ihr saßen der lange Lümmel Giletti und die alte Mammaccia.
Giletti bildete sich ein, Fabrizzio stünde mit einem Gewehr in der Hand so mitten auf der Landstraße, um ihn zu überfallen und wohl gar die kleine Marietta zu entführen. Beherzt, wie er war, sprang er aus dem Wagen, in der Linken eine große verrostete Pistole und in der Rechten einen Degen, der noch in der Scheide stak. Das waren seine Requisiten, wenn ihm die Truppe eine Ritterrolle anvertraute.
»Ha, du Brigant!« schrie er. »Ausgezeichnet, daß ich dich hier so nahe an der Grenze treffe! Ich will mit dir abrechnen! Hier schützen dich deine violetten Socken nicht!«
Fabrizzio liebäugelte mit der kleinen Marietta und kümmerte sich gar nicht um das Geschimpfe Gilettis, bis er mit einem Male drei Fuß vor seiner Brust die Mündung der verrosteten Pistole erblickte. Er hatte gerade noch Zeit, die Pistole niederzuschlagen, indem er seine Büchse wie einen Stock gebrauchte. Die Pistole ging los, verwundete aber niemanden.
»Halt doch an, Schafskopf!« brüllte Giletti dem Kutscher zu. Zugleich packte er geschickt die Flinte seines Gegners an der Mündung und hielt sie von sich ab. Beide zogen aus Leibeskräften an der Waffe. Der weit kräftigere Giletti setzte eine Hand vor die andere und kam dadurch immer näher an das Schloß der Büchse. Schon hatte er sie ihm halb entrissen, als Fabrizzio, um die Waffe unschädlich zu machen, den Hahn abdrückte. Er hatte vorher wohl bemerkt, daß die Mündung mehr als drei Zoll über Gilettis Schulter war. Der Schuß ging dicht an dessen Ohr vorbei. Eine Sekunde war der Komödiant verdutzt, erholte sich aber im Nu.
»Ha! Du willst mich vor den Kopf schießen, Hundsfott! Ich werde dir heimleuchten!«
Giletti zog seinen Ritterdegen aus der Scheide und drang mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit auf Fabrizzio ein. Der war völlig wehrlos und sah sich verloren.
Er rettete sich nach dem Wagen, der etwa zwölf Schritt hinter Giletti stand. Er lief nach links, und indem er sich mit der einen Hand an einer der Wagenfedern festhielt, bog er blitzschnell um den Wagen herum; so gelangte er vor den geöffneten rechten Wagenschlag. Giletti stürmte mit seinen langen Beinen nach, kam aber nicht auf den Einfall, sich an der Wagenfeder festzuhalten, und schoß noch ein paar Schritte weiter, ehe er stehen blieb.
Im Augenblick, als Fabrizzio an den offenen Wagenschlag gelangte, hörte er, wie ihm Marietta zuflüsterte: »Hüte dich! Er will dich morden! Nimm!«
Gleichzeitig sah Fabrizzio, wie eine Art langer Hirschfänger aus der Tür fiel. Er bückte sich, um ihn aufzuheben,aber da traf ihn ein Degenstoß Gilettis in die Schulter. Fabrizzio richtete sich auf und sah sich sechs Zoll weit von Giletti, der ihm mit dem Degengriff einen wütenden Schlag ins Gesicht versetzte. Dieser Schlag war so wuchtig geführt, daß Fabrizzio seine Besinnung verlor. Es fehlte nicht viel, und er wäre getötet worden. Zum Glück für ihn stand Giletti allzu nahe, als daß er ihm noch einen Stoß mit der Degenspitze beibringen konnte. Sobald Fabrizzio wieder zu sich kam, ergriff er die Flucht und lief, was er konnte. Beim Laufen zog er den Hirschfänger aus der Scheide und wandte sich dann plötzlich um.
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