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Die Karte der Welt (German Edition)

Die Karte der Welt (German Edition)

Titel: Die Karte der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Royce Buckingham
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riesiger Auerochse? Aber dafür fühlte sich das Leder eigentlich zu dünn an.
    Wex fuhr mit dem Zeigefinger über die Zeichnungen. Die ältesten befanden sich in der Mitte und stammten aus einer Zeit, zu der es noch gar keine Zeitrechnung gegeben hatte. Sie sahen aus wie mit Kohle angefertigt und waren im Lauf der Zeit stark verblasst, kaum noch zu entziffern. Innerhalb eines Kreises, wahrscheinlich eine Mauer, entdeckte er plumpe Darstellungen von Gebäuden und eine dünne Linie, die nach Norden führte. Ein Vorposten und eine Straße , dachte Wex. Die Gebäude waren zu groß gezeichnet, der Maßstab passte nicht zum Rest der Karte, aber der Ort existierte noch. Wex hatte schon einmal von ihm gehört. »Die Täler« wurde er genannt und lag südlich von Skye. Heidnische Zauberer hatten dort mittlerweile längst in Vergessenheit geratene Naturgötter angebetet. Jetzt verspotteten die Priester die Ruinen als Symbol für machtlosen Aberglauben. Es hieß, dass von der ursprünglichen Ansiedlung nur noch ein paar Schutthaufen übrig waren und von der Mauer nicht mehr als bröckelnde Steine, die kaum über das wuchernde Gras hinausragten.
    Die Straße führte aber noch weiter in stärker entwickelte Regionen und zur nächsten Generation von Kartenzeichnern. Wex folgte ihr und entdeckte andeutungsweise ausgearbeitete Landschaften, eine Reihe auf dem Kopf stehender V, die eine Hügelkette darstellten, sich windende Linien für Flüsse, gerade Linien für abzweigende Straßen und ein weiteres, übergroßes Gebäude, diesmal eine Burg. Der Künstler war zwar auch nicht wesentlich begnadeter gewesen, aber es gab immerhin ein paar Details, und die Zeichnungen waren nicht aus Kohle, sondern einer Vorform der Tinte: ein großer Fortschritt beim Anfertigen von Karten. Das Leder hatte sie mit gebotener Sturheit erhalten, auch wenn die Bilder vom Alter ebenfalls verblasst waren.
    Wex tastete sich weiter nach Norden vor und suchte nach Orientierungspunkten, irgendeiner Zeichnung zwischen all den Kritzeleien, die ihm etwas sagte. Nach mehreren Höfen, Dörfern, Flüssen und Wäldern fand er sich zwischen wogenden Hügeln wieder und erreichte schließlich den Palast von Skye, die große Festung auf dem Berg. Es war leicht zu erkennen, dass es sich um den Palast handelte, denn die Tinte war dicker aufgetragen und noch nicht so alt wie der Rest, außerdem nahm die Zeichnung eine weit größere Fläche ein als jede Stadt oder Garnison. Sogar die umgebenden Siedlungen waren abgebildet, verteilt zwischen den umliegenden Wäldern, Seen und Hügeln.
    Die Darstellung der Festung selbst war in mehrere Abschnitte unterteilt. Immer wieder hatten ihre Erschaffer mit den verschiedensten Techniken über die Generationen hinweg etwas hinzugefügt oder korrigiert. Einer hatte die Straßen als einfaches Gitternetz abgebildet, daneben schmucklose Quadrate, die die Gebäude darstellten, während ein anderer alle wichtigen Orientierungspunkte mit großer Liebe nachempfunden hatte – eine Kirche etwa, deren Dach sich nach oben hin zu den Göttern öffnete, oder eine Reiterstatue am Weg. Ein dritter hatte all seine Zeichnungen beschriftet, mit viel zu großen, aufdringlichen Buchstaben, die mehr verdeckten als sie hervorhoben.
    Fasziniert saugte Wex alles in sich auf, versuchte sich die Details einzuprägen. Aber es waren bei weitem zu viele, und schließlich bewegte er den Finger weiter Richtung Norden, hin zur oberen rechten Ecke der Karte.
    Als er den Punkt erreichte, an dem der Kohlestrich endete, beschleunigte sich sein Puls. Eine dicke Linie, kräftig und dunkel, verlief von Osten nach Westen und zog eine Grenze. Keine Grenze , dachte Wex, eine Barriere . Der Schleier. Gleich darunter entdeckte er ein verblasstes Wort. Es begann mit dem Buchstaben P, so viel war klar, aber den Rest konnte er nicht entziffern. Wahrscheinlich eine alte Sprache, die er ohnehin nicht verstand. Darüber, jenseits des Schleiers, war die Karte leer. Ein blassrosafarbenes Nichts.
    Aber da war ein Geruch . Wex beugte sich tiefer über das Leder und musste unwillkürlich würgen. Der untere Teil der Karte hatte lediglich alt und staubig gerochen, aber die Leere über dem Schleier stank nach … modriger Fäulnis. Verwesung, Blut, Tod. Wie eine Welle rollte der Gestank über Wex hinweg und ließ ihm Gallenflüssigkeit in den Mund steigen. Er hatte schon einmal etwas ganz Ähnliches gerochen. Zu Hause hatte eines ihrer Schweine sich zum Sterben in ein warmes Moor verkrochen,

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