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Die Karte der Welt (German Edition)

Die Karte der Welt (German Edition)

Titel: Die Karte der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Royce Buckingham
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und vier Tage später hatten sie es gefunden, aufgedunsen im Brackwasser treibend. Aber dieser Geruch hier war älter: Ganze Jahrhunderte der Verwesung schlugen ihm von der Karte entgegen, und das obwohl das Leder noch straff und fest war. Wex richtete sich auf und drehte die Nase ein wenig zur Seite.
    Dann betrachtete er den Bereich südlich der Barriere und lächelte. Der leere Streifen unterhalb der dicken Linie war sein. Er würde ihn zeichnen, und plötzlich fühlte er sich wichtig. Er, der Schweinebauer, war der Nächste in der Reihe der Kartenzeichner. »Kartograph«, rief er sich ins Gedächtnis, und seine Lippen sprachen das Wort leise aus. Selbst das Wort klang wichtig. Er musterte noch einmal die dreieckigen Hügel und grobschlächtigen Gebäude. Das kann ich besser , dachte er aufgeregt. Er war zwar kein schlechter Bauer, aber auch nicht besonders erfolgreich in seinem Geschäft. Die Hoxxel-Brüder hatten mehr Schweine und ein größeres Schlachthaus, das sie erst letzten Herbst gebaut hatten. Es machte ihnen Spaß zu töten. Sie produzierten doppelt so viel wie er und Elger mit ihrem kleinen Zuchtbetrieb. Aber ich werde mich auf dieser Karte verewigen, und meine Zeichnungen werden im Palast von Skye hängen , überlegte er weiter. Schon mit dem ersten Strich würde er ein anderer werden.
    Allerdings würde er kleiner zeichnen müssen, einfacher. Für große Landschaften war kein Platz auf der Karte. Trotzdem würde er keine Kompromisse eingehen. Ich werde mir von jedem Ausschnitt ein wichtiges Detail aussuchen, eines, das dem Betrachter im Gedächtnis bleibt, ihm die Karte als Ganzes vor Augen führt. Er sieht ein paar Wassertropfen und weiß, dass es sich um einen See handelt, ich werde Bäume zeichnen, und die Leute werden sich einen Wald vorstellen, jeder kleine Gipfel wird sich ihnen als hoch aufragender Berg ins Bewusstsein brennen . Mit diesem Versprechen an sich selbst konnte nichts mehr schiefgehen, und gleich mit diesem ersten Berg vor ihnen würde er morgen anfangen. Die niedrigeren Hänge und Bäche hatte er bereits gesehen. Aber warum warten? , fragte er sich plötzlich. Der Berg selbst mochte vom Schleier verhüllt sein, aber anhand der Vorhügel und der umgebenden Gipfel wusste Wex instinktiv, wie er aussehen musste. Seit Jahr und Tag hatte er auf dem Hügel über ihrem Hof gesessen und jede einzelne Felsspitze gezeichnet, die von dort aus zu erkennen war. Er kannte die Proportionen, den Bewuchs und die Höhe der Schneegrenze zu jeder Jahreszeit. Wieder und wieder hatte er sie gezeichnet, und wenn er nun den verhüllten Gipfel vor ihnen abbilden wollte, brauchte er nichts weiter zu tun, als den schwarzen Schleier davor wegzulassen, genau wie sein Vater es vorgeschlagen hatte.
    Wex lief zu seinem Beutel und holte seinen besten Zeichenkiel sowie ein Abtropftuch. Dann fiel ihm wieder ein, dass sein »Tintenfass« sich mittlerweile in den Mägen der Soldaten befand.
    Auf Zehenspitzen schlich er sich zu Fretters Schlafplatz. Der kleinliche Offizier bewahrte die Tinte aus dem Palast in seinem Beutel auf, den er als Kopfkissen benutzte. Das Risiko, ihn zu wecken, war zu groß, und den Rest seiner Sachen zu durchsuchen, kam nicht in Frage, mochte Wex auch noch so ungeduldig sein. So stand er eine Weile da und grübelte. Schließlich blickte er zu der im Mondschein schimmernden Bergflanke hinüber. Sie sah aus wie ein unvollendetes Bild, das endlich zu Ende gemalt werden wollte. Sie schrie geradezu danach.
    Wex zog das dünne Messerchen, mit dem er den Ferkeln immer Blut abzapfte, aus der Scheide, kniete sich neben das Feuer und bohrte die Klinge behutsam in das dicke Fleisch gleich unterhalb seines linken Daumens. Der Stich würde gut bluten, ihn beim Zeichnen aber nicht weiter stören. Er machte eine Faust und hielt sie über einen kleinen Lederbeutel, in dem er das frische Blut auffing. Wex war den Anblick gewohnt. Er hatte mit seinem Vater schon so viele Schweine ausbluten lassen, dass er nicht mal mit der Wimper zuckte, während er zusah, wie der Beutel sich langsam füllte. Außerdem zapfte er sich ohnehin nicht viel Blut ab. Einmal an der Luft, würde es innerhalb eines Tages trocknen, maximal zwei, was auch der Grund war, weshalb er immer eine Quelle für frisches brauchte. Als er genug für seine Zwecke abgezapft hatte, wickelte er ein Stück Stoff um den linken Daumenballen, nahm seinen Kiel und eilte zurück zu der Karte, um sich an die Arbeit zu machen.



8
    Wex erwachte, ausgestreckt

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