Die Karte der Welt (German Edition)
Augen der Tänzerin gerichtet.
»Wer ist sie?«, fragte Wex.
Kraven und Fretter schüttelten den Kopf, und Brynn rutschte unbehaglich auf ihrem Platz herum.
»Weißt du es?«, wiederholte Wex beschwörend.
»Das ist Adara, die Frau in der Kutte, die mit dem Dido gekommen ist«, antwortete Brynn zögernd. »Und ihr solltet besser aufhören, sie so lüstern anzustarren. Sie ist seine Tochter.«
Wex blickte zu dem Dido hinüber. Der Mann wirkte kein bisschen beschämt oder erbost. Er lachte sogar, genoss die Darbietung genauso wie sein Volk, und sein Gesicht drückte Stolz aus. Wex beschloss, Brynns Worte zu ignorieren, und starrte Adara mit offenem Mund an.
Der Tanz vor dem Feuer war nur das Vorspiel. Ihre Füße hatte Adara noch gar nicht bewegt. Und als sie es tat, war es wie eine Explosion. Leicht wie ein Vogel sprang sie auf den Bug des nächsten Bootes, balancierte einen Moment lang auf Zehenspitzen und sprang dann mit dem Kopf voran ins Wasser wie ein Pfeil. Mehrere Male tauchte sie irgendwo zwischen den Booten wieder auf, zappelte wie ein Fisch und schwang ihr Haar, bespritzte die überraschten und begeisterten Zuschauer, um schon im nächsten Augenblick wieder zu verschwinden. Einmal durchbrach eines ihrer langen, eleganten Beine die Oberfläche wie eine Flosse, winkte der Menge, tauchte wieder unter und blieb verschwunden. Lange. Zu lange.
Fretter und Kraven wurden zappelig, und auch Wex blickte nervös umher. Nur das fahrende Volk blieb vollkommen ruhig, also sagte keiner der drei etwas. Die Nacht wurde still, und alle hielten den Atem an, gemeinsam mit Adara, wo auch immer sie war.
Plötzlich brach sie genau zwischen Blus und Wex’ Boot durch die Oberfläche, mit so viel Schwung, dass sie mit je einem Fuß auf dem Bug der beiden Kanus landete, wo sie geschickt die Schaukelbewegungen der Wassergefährte ausglich. So ragte sie einen Moment lang über den beiden jungen Männern auf, keuchend, während das Wasser von ihrem beinahe nackten Körper auf die zwei herabtropfte. Wieder begannen die Flussmenschen, einen Takt zu klopfen, der sich schnell zu einem Crescendo steigerte.
Jetzt kommt das Finale , dachte Wex. Irgendetwas würde gleich passieren. Er blickte zu Blu hinüber, der voll aufgeregter Erwartung war. Adaras Tanz hatte eine Bedeutung, und es konnte kein Zufall sein, dass sie für das Finale diese beiden Boote ausgewählt hatte. Zum ersten Mal zupfte ein Lächeln an den Mundwinkeln des schieläugigen Jünglings.
Adara senkte den Oberkörper, und die Muskeln an ihren Schenkeln spannten sich. Der schnelle Rhythmus, den die Hände klopften, hallte übers Wasser. Dann streckte sie mit einer plötzlichen Bewegung die Beine, die Spitzen der beiden Boote wurden unter Wasser gedrückt, und als sie wieder nach oben kamen, nutzte sie den Schwung und schraubte sich zu einem Salto in die Luft. Mit einem nassen Klatschen landete sie wieder auf den Füßen.
In Wex’ Kanu.
Jubel erhob sich, und der getrommelte Rhythmus wurde zu begeistertem Applaus. Adara setzte sich Wex gegenüber, die Brust immer noch pumpend von der Anstrengung, und ihr warmer Schweiß, gemischt mit dem eiskalten Flusswasser, floss an ihr herab.
Wex blickte sich vorsichtig nach allen Seiten um. Er fragte sich, was sie jetzt wohl mit ihm machen würden, da sich die halb nackte Tochter des Dido in seinem Boot befand. Doch seine Sorge war unbegründet.
Die Menge schien zwar überrascht, aber auch angetan von Adaras Wahl. Der Dido lächelte ihn nur ruhig an. Er schien kein bisschen aufgebracht. Wex’ männliche Begleiter zeigten sich offen beeindruckt, und Pinch winkte ihm sogar begeistert zu. Brynn hingegen saß mit zusammengepressten Lippen da, die Arme verschränkt, und sah alles andere als erfreut aus.
Der Einzige, der noch schockierter zu sein schien als Brynn, war Blu. Mit hängendem Kiefer hockte er da, und eines seiner Augen zitterte wie die Lippen eines Kindes, das jeden Moment zu weinen anfängt. Er zog ein Messer und durchtrennte mit einem zornigen Hieb das Seil, das sein Kanu mit den anderen Booten verband. Ohne ein Wort hob er sein Paddel und ruderte davon in Richtung des dunklen Waldes, der das Ufer säumte.
Wex’ Blick wanderte zurück zu Adara, deren große braunen Augen ihn die ganze Zeit fixiert hatten.
»Ich heiße Wex …«, sagte er.
19
Vill blickte auf den Flussmenschen herab, den seine Düsterlinge im Wald gefangen hatten. Seine Missbildung war im Mondlicht gut zu erkennen: Das eine Auge wanderte ziellos
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