Die Karte der Welt (German Edition)
zuvor, als Adara Wex’ Boot seinem vorgezogen hatte.
»Das Auge …«, flüsterte Wex Kraven zu.
»Es ist grotesk, ich weiß, und wahrscheinlich auch der Grund, warum die Tochter des Dido sich gegen ihn entschieden hat.«
Also hat sie sich entschieden, und zwar für mich , dachte Wex aufgeregt und vergaß Blus nervösen Tick sofort wieder.
Fretter runzelte die Stirn über die veränderte Situation. Wex konnte sehen, dass er sich mit dem Dido besprechen wollte. Aber immerhin waren sie das fahrende Volk, das für seinen Wankelmut bekannt war.
»Nun gut«, sagte Fretter zögernd. »Wex … ich meine, Kraven. Noch eine zusätzliche Flussbiegung. Keine mehr, keine weniger.«
Wex nickte, ebenso Kraven.
»Geh jetzt, Blu«, sagte Fretter bestimmt. »Unser Magier muss allein sein.«
»Aber Ihr beide bleibt doch auch bei ihm.«
»Geh!« Fretter schob ihn aus der Kabine und schlug die Tür hinter ihm zu. »Fangen jetzt auch schon die Flussmenschen an, meine Autorität in Frage zu stellen?«, sagte er an Wex und Kraven gewandt.
Kraven, der inzwischen Wex’ Messer an sich genommen hatte, zuckte nur die Achseln und testete die Klinge an einem Wasserschlauch. Sofort öffnete sich ein kleines Loch, und er nickte zufrieden. Dann gab er Wex das Messer zurück.
Wex nahm das Blut wieder von seiner linken Hand und schnitt in dieselbe Wunde. Es war fast so, wie ein Schwein anzustechen, nur dass sein eigenes Blut von einem kräftigeren Rot und auch von der Konsistenz her besser zum Zeichnen geeignet war. Er ließ nur sehr wenig in die hölzerne Schale tropfen, gerade so viel wie ein Daumennagel, aber es würde genügen. Für den Weg um den Berg herum zurück nach Abrogan würde er mehr brauchen.
Als Wex den Zeichenkiel hervorholte, kam Kraven so dicht heran, dass er den neugierigen Zauberer zur Seite schieben musste, um genug Platz zum Zeichnen zu haben.
Fretter thronte wie ein Falke vor dem oberen Ende der Karte, um sicherzugehen, dass Wex auch ja nicht von seinen Anweisungen abwich.
»Was werden wir wohl diesmal in den Landen finden, die du zeichnest?«, fragte Kraven.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Wex. »Wenn Ihr mir sagen würdet, was Ihr haben wollt, könnte ich vielleicht helfen.«
»Ich? Ich habe gar nichts zu sagen«, erklärte Kraven hastig und schielte verstohlen nach Fretter, um zu sehen, ob er das Gespräch verfolgte.
»Dann lasst mich bitte arbeiten, bevor das Blut trocknet und ich mir noch mal welches abzapfen muss.«
»Aber ja, selbstverständlich«, erwiderte Kraven, verschränkte die Arme vor der Brust und zog sich diskret zurück.
Wex betrachtete die Karte und fuhr liebevoll mit der Hand über das Leder. Er merkte, dass er sie vermisst hatte. Seit sie in das Lager gekommen waren, hatte er nur ein einziges Mal gezeichnet, das Boot eines kleinen Mädchens, das an einem Baum festgemacht war. Am liebsten hätte er auch das Mädchen selbst gezeichnet, aber er war nicht besonders gut darin, Menschen wiederzugeben. Die Gesichter, die er zeichnete, sahen immer etwas seltsam aus, verfälscht, manchmal sogar richtiggehend entstellt, also hatte er das Porträtieren schon vor langer Zeit aufgegeben. Das Boot hingegen war ihm leichtgefallen. Mit Asche hatte er es auf ein Stück Stoff gezeichnet, und als er sein Werk dem Mädchen überreicht hatte, war es kreischend vor Freude davongelaufen, um das Bild sogleich seinen Freundinnen zu präsentieren.
Seine eigentliche Aufgabe jedoch war die Karte, eine ernste Aufgabe und zugleich der Maßstab, an dem sein Wert für die Expedition bemessen wurde. Elger hatte bereits eine stattliche Summe als Bezahlung für Wex’ Teilnahme erhalten, und vom Fürsten würde Wex noch mehr bekommen, wenn sie lebend zurückkehrten. Das Gelingen der gesamten Expedition hing von ihm ab. Tapfere Männer hatten ihr Leben gelassen, damit er diese Karte zeichnen konnte, und die Bedeutung der ganzen Unternehmung war ihm durchaus bewusst. Das hier war keine einfache Zeichnung, die er zum Zeitvertreib irgendwo auf den Wiesen oberhalb ihres Hofs anfertigte. Auch wenn es sich, sobald er den Kiel in der Hand hielt, genauso anfühlte. So sehr, dass Wex beim Zeichnen beinahe seinen Vater hören konnte, wie er ihn zum Abendessen rief.
Er begann mit einer langen, gewundenen Linie, dann fügte er links und rechts Schraffuren hinzu, die für Hügel und Senken standen. Die runden Flecken, die für sich genommen ausgesehen hätten wie unbeabsichtigte Tintenkleckse, setzte er so geschickt, dass jeder
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