Die Karte der Welt (German Edition)
Holztisch, der in der Mitte der Kabine stand. Seufzend klopfte er auf die bemalte Tierhaut. »Wir haben einen Handel mit unseren Gastgebern abgeschlossen. Sie versorgen uns mit Proviant für die vollen drei Tage, die es dauern wird, diesen Berg zu umgehen und über einen weniger gefährlichen Pass zum Palast zurückzukehren. Als Gegenleistung wollen sie wieder Zugang zu den Gebieten, die flussabwärts liegen. Ich habe gesagt, Kraven könnte das bewerkstelligen.«
Kraven beugte sich vor, die Stimme ernst und schwer. »Ihre Sippe wurde aus Abrogan vertrieben, Wexford. Sie waren dort genauso unerwünscht wie die Aussätzigen. Sie hatten sich hier, auf dem Walther, eine neue Lebensgrundlage geschaffen. Bis eines Tages der dunkle Schleier über sie kam. Er wurde gelüftet, wie wir wissen, doch nun schneidet er sie von ihrer Lebensader ab. Sie möchten, dass ich ihn aus dem Weg räume.«
»Ihr. Das heißt, ich.«
»Ähm … ja.«
»Ich habe nie davon gehört, dass irgendwann einmal eine ganze Sippe von hundert Leuten durch Zornfleck getrieben worden wäre.«
»Ich vermute, sie waren in dieser Dunkelheit gefangen seit dem ersten Tag, an dem sie über das Land kam.«
»Aber der Schleier ist jahrhundertealt.«
»So wie sie«, folgerte Kraven.
Wex’ Kopf drehte sich. »Ihr glaubt, sie waren jahrhundertelang im Schleier gefangen?«
»Bis sie gestern freikamen, ja. Auch wenn sie selbst zu glauben scheinen, es wäre lediglich ein einziger Tag vergangen. Ich habe sie nicht in meine Theorie eingeweiht.«
Fretter trommelte ungeduldig auf den Tisch. »Das mag ja alles sehr faszinierend sein, aber es kann genauso gut bis später warten. Im Moment gilt es, einen Handel abzuschließen, der uns für drei Tage Proviant sichert und es uns ermöglicht, nach Abrogan zurückzukehren. Jetzt, da die Gefahr zunächst einmal gebannt ist, müssen wir unseren Auftrag erfüllen und dem Fürsten von den Geschehnissen berichten, bevor wir uns tiefer in dieses Land hineinwagen, wo wir zweifellos neuen Schwierigkeiten begegnen werden. Deshalb bestehe ich darauf, dass du tust, was ich sage.«
Wex gab auf. »Ich brauche das Blut«, sagte er tonlos.
Fretter warf Kraven einen Blick zu, und der zuckte zusammen.
»Was ist?«, fragte Wex.
»Das Blut ist verdorben«, erwiderte Kraven.
Wex seufzte.
»In dem Kadaver war es nicht lange haltbar«, erklärte Kraven.
»Ja, ja, hab schon verstanden«, sagte Wex. »Es gibt noch mehr Tiere, denen wir Blut abzapfen können. Fische zum Beispiel. Davon gibt es hier jede Menge, und ihr Blut ist schön dünn.«
Fretter räusperte sich und sagte mit leiser Stimme: »Kraven meint, wir sollten besser einen Warmblüter verwenden.«
»Ein Eichhörnchen vielleicht?«
»Wir dachten an dein Blut, Wexford«, erklärte Fretter vorsichtig. »Nur eine ganz kleine Menge. Du wirst es kaum vermissen.«
»Warum meins?«
»Das Blut in der Eidechse war von dir«, antwortete Kraven. »Ich habe gesehen, wie sie von deinem Bein abfiel, bevor ich sie aufhob. Es war dein Blut, mit dem das Wunder auch beim letzten Mal wahr wurde.«
»Ihr wollt, dass ich die Karte mit meinem eigenen Blut zeichne?«
»Ja«, bestätigte Kraven. Sein Blick wanderte zu Wex’ Daumen. Der Verband war nicht mehr da, aber die Narbe. »Kommt dir das so unerhört vor, Wexford?«
Wex verstummte, und Fretter interpretierte sein Schweigen als Zustimmung. »Hast du dein Messer?«, fragte er.
Wex blickte zu seinem Gürtel hinunter. »Ja, aber …«
»Gut. Es wird Zeit, dass wir anfangen.«
In diesem Moment klopfte es an der Kabinentür. Wex war dankbar für die Unterbrechung.
Fretter warf ein Tuch über die Karte, strich seine frisch gewaschene Uniform glatt und stand auf. Als er die Tür öffnete, war er überrascht, Blu an Deck stehen zu sehen.
Er wirkte blass. Schweiß strömte ihm übers Gesicht, und er hielt sich den linken Arm, der schlaff herunterhing. Er sprach leise, und Kraven übersetzte.
»Ich wurde geschickt, um Euch um eine Änderung zu bitten«, murmelte er. »Wir brauchen noch eine Flussbiegung.«
»Noch eine?«, wiederholte Fretter. »Bist du sicher? Der Dido hat seine Wünsche klar und deutlich geäußert.«
»Wäre ich gekommen, wenn ich nicht sicher wäre? Seht mich an. Ich schwitze, weil die Angelegenheit so wichtig ist.«
Wex starrte Blus Augen an. Er wusste, dass es unhöflich war, aber er konnte nicht anders. Der Schweiß war nicht das einzige Anzeichen für Blus Aufregung. Das eine Auge zitterte genauso wie am Abend
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