Die Karte Des Himmels
besser aus als ich, und ich habe ganz unerwartet etwas Dringendes zu erledigen. Mutter, George Fenton hat gerade angerufen. Es sieht so aus, als wäre heute Nacht in die Fasanenställe eingebrochen worden.«
»Oh nein, Robert.«
»Natürlich müssen Sie sich darum kümmern«, sagte Jude. »Ich bin sicher, dass Mrs. Wickham und ich wunderbar zurechtkommen werden.«
Mrs. Wickham lächelte ihr komplizenhaft zu. »Bitte nennen Sie mich Chantal«, murmelte sie und wandte sich dann an ihren Sohn. »Hoffentlich stellt sich heraus, dass es der Fuchs gewesen ist, Rob. Der Gedanke an menschliche Diebe gefällt mir gar nicht. George schwirren manchmal so merkwürdige Vorstellungen über die Leute im Kopf herum. Das führt zu einer schlechten Stimmung in der Gegend.«
Robert schluckte seinen Kaffee herunter und nickte. Mit einem »Wir sehen uns zum Mittagessen« eilte er aus dem Zimmer. Ein paar Minuten später sahen die Frauen, wie der Wagen über die Auffahrt holperte, während die Hunde hinter ihm herbellten.
»Der liebe Robert, er muss immer herumhetzen«, sagte Chantal. »Kommen Sie, Jude, und setzen Sie sich einen Augenblick zu mir.« Sie klopfte auf den leeren Platz neben sich auf dem Sofa. »Sie müssen müde sein, nach der langen Fahrt hierher.«
»Ach, ich habe die vergangene Nacht bei meiner Gran in Blakeney verbracht.«
»Dann ist Ihnen unser Fleckchen Erde also vertraut?«
»Ein bisschen. Ich habe in meiner Jugend in Norwich gelebt«, erklärte Jude, »und ein Teil meiner Familie ist immer noch hier. Mum hat ein Haus außerhalb von Sheringham, aber sie ist dabei, es zu verkaufen und mit meinem Stiefvater nach Spanien zu ziehen. Meine Schwester wohnt in Felbarton, ganz in der Nähe. Kennen Sie in Holt einen Laden namens ›Star Bureau‹? Der Laden gehört ihr, zusammen mit einer Freundin.«
»Der Geschenkeladen in den Arkaden? So ein hübsches Schaufenster, all diese Sternenlichter und die Mobiles! Ich wollte mir das Geschäft immer mal anschauen. Und jetzt werde ich das ganz bestimmt auch tun.«
»Ich glaube, der Laden wird Ihnen gefallen. Und es ist zwar nur ein erstaunlicher Zufall, aber Gran hat hier auf Starbrough Estate gelebt. Sie ist die Tochter des damaligen Jagdaufsehers. Sie hießen Bennett – kommt Ihnen der Name bekannt vor? Es ist allerdings schon eine Ewigkeit her. Wann ist sie geboren ... 1923 oder so ...«
Chantal schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, ich kann mich nicht an die Bennetts erinnern«, sagte sie, »aber ich bin auch erst 1959 ins Land gekommen. Da war Ihre Großmutter sicher schon weggezogen.«
»Ja, das denke ich auch. Ich glaube, ihre Eltern sind Mitte der Fünfzigerjahre gestorben. Woher stammen Sie ursprünglich?«
»Ich bin in Paris geboren und hierhergekommen, als ich zwanzig war.« Das heißt, dass Chantal jetzt neunundsechzig sein muss, überschlug Jude rasch, sie ist also älter, als sie aussieht. »Ich betrachte Starbrough Hall als mein Zuhause.« Eine tiefe Traurigkeit breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Dann sagte sie leise und voller Leidenschaft: »Ich liebe dieses Haus. Ich habe hineingeheiratet, und inzwischen ist es ein Teil von mir. Robert und Alexia sind so freundlich, mich noch hier wohnen zu lassen.«
»Die beiden ... sie sind erst kürzlich hier eingezogen?« Jude ahnte schon, was Chantal antworten würde. Mit plötzlich aufflackerndem Mitgefühl wurde ihr bewusst, warum sie sich dieser Frau so stark verbunden fühlte.
»William, mein Mann, ist vor zwei Jahren gestorben, und das Haus ist in Roberts Besitz übergegangen. Wie immer gibt es Ärger mit dem schnöden Mammon. Es gibt kein Vermögen, wissen Sie. Mein Mann war gezwungen, vor seinem Tod einen Teil seiner Ländereien zu verkaufen, und dann musste Robert lästigen Pflichten nachkommen. Und die Reparaturen ... ach, die Farbe blättert überall ab, das Dach müsste gründlich instand gesetzt werden. Also muss Anthony Wickhams Sammlung fort. Es ist wirklich tragisch. Sie ist ein Teil dieses Hauses und seiner Geschichte. Das ist übrigens Anthony.« Chantal zeigte auf das Porträt über dem Kamin. Jude schaute genauer hin. Anthony Wickham war ein gertenschlanker junger Mann mit einem schmalen, hübschen Gesicht, das irgendwie eulenhaft wirkte. Im Hintergrund des Bildes war Starbrough Hall zu erkennen. Die Art, wie Anthony das geöffnete Buch mit der Hand umklammerte, so als ob der Künstler ihn gerade bei seinem Studium gestört hätte, wies deutlich darauf hin, wofür er sich eigentlich
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