Die Karte Des Himmels
interessierte. In einer Ecke hatte der Maler ein Datum angebracht: 1754.
»Wir glauben, dass es gemalt worden ist, als er zweiundzwanzig war. Ein paar Jahre, bevor sein Vater gestorben ist und er das Haus geerbt hat. Ich kann den Gedanken kaum ertragen, dass all seine Dinge zwischen Fremden aufgeteilt und nur danach eingeschätzt werden, was sie finanziell einbringen. Robert meint es gut, aber ich bin überzeugt, dass es noch einen anderen Weg gibt ...« Plötzlich sah sie schuldbewusst aus. »Das würde Robert jetzt nicht gefallen. Ich habe Ihnen weit mehr erzählt, als er billigen würde. Aber bei Ihnen fällt es mir so leicht, zu erzählen ... Sie sind so ... sympathique .«
Als Jude Chantal zuhörte, empfand sie beinahe zärtliche Gefühle für sie. Sie war eine Außenstehende, die in diese Familie eingeheiratet hatte und sich ihr zugehörig fühlte. Dennoch hatte sie nicht das Recht, Entscheidungen über ihr Zuhause zu treffen. Gleichzeitig erinnerte sich Jude an die verrottenden Fensterrahmen und dachte, dass sie und ihr Mann sich vielleicht auch falsche Vorstellungen darüber gemacht hatten, was es kostete, heutzutage ein Gebäude wie Starbrough Hall zu unterhalten.
»Bitte machen Sie sich keine Sorgen, weil Sie mir das alles erzählt haben«, sagte sie beruhigend. »Ich verstehe Sie sehr gut, und Sie haben mein Mitgefühl. Ich mache diese Arbeit, weil die Bücher an sich mich faszinieren, nicht nur wegen der Worte, die man in ihnen lesen kann, sondern als Kunstwerke, wegen der Art, wie sie gemacht worden sind und man sie gehegt und gepflegt hat. Natürlich muss ich entscheiden, was sie wert sind, das ist mein Job. Aber ich bin wie Sie. Ich liebe es, die Geschichten der Menschen zu erfahren, die diese Bücher besessen und gelesen und in Ehren gehalten haben.« Jude war überrascht, mit welcher Leidenschaft sie gesprochen hatte. Meistens war ihre Arbeit sehr nervenaufreibend, aber manchmal erinnerte sie sich auch daran, warum sie sie so sehr liebte.
»Dann war es also doch richtig, Ihnen die Geschichte zu erzählen. Danke, meine Liebe. Aber nun lassen Sie uns die Bücher anschauen.«
Jude hängte ihr Jackett über einen Stuhlrücken und folgte Chantal zum Vitrinenschrank. Chantal zog die Türen weit auf und trat zurück, sodass Jude hineinsehen konnte. Geübt streifte ihr Blick über ungefähr ein Dutzend Regalbretter, auf denen jeweils etwa zwanzig Bücher standen, insgesamt gut zweihundertfünfzig Bücher. Außerdem gab es noch die Manuskripte und Instrumente. Das bedeutete in der Tat ein oder zwei Tage Arbeit. Sie streckte den Arm nach oben und zog einen Band von Isaac Newton heraus, legte ihn auf den Konsolentisch und untersuchte die ersten Seiten. Ich hatte recht!, jubelte sie innerlich, es ist die dritte Auflage! Vorsichtig blätterte sie um, staunte über den guten Zustand. Einige Seiten waren stockfleckig – erkennbar an den kleinen braunen Punkten –, aber das war bei einem Buch dieses Alters auch nicht anders zu erwarten. »Wissen Sie, dass das hier eine sehr seltene Ausgabe ist?«, fragte sie Chantal.
»Wir haben es vermutet«, erwiderte Chantal. »Roberts Freund hielt die Newton-Bände für wertvoll, aber wir haben noch nie einen Experten zurate gezogen.«
»Noch nicht einmal für Versicherungszwecke?« Jude war schockiert.
»Nein, wie ich zu meiner Schande gestehen muss. Mein verstorbener Mann, so liebenswert er auch war, hat mein Interesse an dieser Bibliothek nicht geteilt. Robert auch nicht ... er ist eher der Typ, der sich gern draußen aufhält. Und er betrachtet diese Sammlung als ... entbehrlich.«
Das Handy in Judes Handtasche klingelte. Sie ahnte bereits, wer anrief, als sie es aus der Tasche holte. Ja, es war Inigo. Sie leitete den Anruf auf die Mailbox weiter und schaltete das Telefon aus.
Dann wandte sie sich wieder der Vitrine zu, zog die anderen Bände von Newton heraus und untersuchte sie. Jude konnte es kaum glauben. Es war eine vollständige Ausgabe, und alle Bände waren in gutem Zustand. Sie holte ihren Aktenkoffer. Während sie darauf wartete, dass ihr Laptop hochfuhr, zog sie einen Stuhl an den Tisch und fing an, sich auf einem Block Notizen zu machen.
»Soll ich Ihnen zuerst zeigen, wo sich die anderen Sachen befinden? Dann kann ich mich in ein ruhiges Eckchen zurückziehen und an meinem Teppich arbeiten. Ich störe Sie nicht, aber wenn Sie meine Hilfe brauchen, bin ich in der Nähe.«
»Danke«, sagte Jude.
»In diesem Schrank«, unter dem Regal schloss Chantal
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