Die Kastratin
hielt Giulias Abscheu jedoch für die Überempfindlichkeit eines Verschnittenen und drückte tröstend ihre Hände. »Um Gottes und um deinetwillen, Giulio, sei bitte leise. Oder noch besser, denke, was du magst, aber verschließe deine Worte tief in deinem Herzen. Wenn jemand dich hört und es der heiligen Inquisition weitermeldet, wird man auch dich verdächtigen, ein Ketzer zu sein.«
Giulia entzog ihm sanft ihre Hände und faltete sie zum Gebet. »Ich glaube an Gottvater, den Sohn und den Heiligen Geist und die Jungfrau Maria. Zumindest die Mutter des Herrn würde es niemals gutheißen, wenn Menschen im Namen des einzigen und wahren Glaubens gequält werden.«
»Du bist doch ein heimlicher kleiner Ketzer.« Vincenzo versuchte zu witzeln, wurde jedoch sofort wieder ernst. »Versprich mir, dass du nie mehr etwas sagst, das der heiligen Inquisition missfallen könnte. Es ist wirklich sehr gefährlich.«
Giulia sah ihm an, dass er sich Sorgen um sie machte, und ärgerte sich, dass ihre mühsam erlernte Selbstbeherrschung sie mit einem Mal im Stich gelassen hatte. Die Ketzer gingen sie nichts an, also durfte sie sich durch ein solches Ereignis nicht das Herz schwer machen lassen. Doch in dieser Nacht schreckte sie immer wieder aus quälenden Albträumen hoch, in denen Flammen um sie aufloderten und schließlich über ihr zusammen schlugen.
IX .
A m nächsten Tag fiel es Giulia schwer, zur Probe in die Kirche gehen. Obwohl sie einen weiten Bogen um die Piazza dei Fiori machte, konnte sie in Santa Maria Maggiore nur mit Mühe ihre Gedanken sammeln und rief Meister Pierluigis Unmut hervor. Diesmal musste sie sich zwingen, die störenden Gedanken weit weg zu schieben und ihren Geist mit der geliebten Musik zu füllen. Irgendwann gelang es ihr dann doch, und am Ende der Proben hatte sie das Gefühl, über den Anfall von Schwermut hinweggekommen zu sein. Ihre Erleichterung hielt jedoch nicht lange an. Ein Offizier im goldblau gemusterten Waffenrock der päpstlichen Garde trat ein und sprach leise mit Palestrina. Der Chorleiter nickte mehrmals und hob schließlich die Hand, um die Aufmerksamkeit seiner Sänger zu erlangen. »Es ist der Wunsch Seiner Heiligkeit, dass einige von euch heute Abend bei der Ketzerverbrennung die Gebete singen. Fra Mariano, wähle dir sechs deiner Mitbrüder aus. Ihr meldet euch heute Nachmittag beim Sekretär des obersten Inquisitors. Für uns andere wird heute Abend ein Platz auf der Tribüne reserviert. Ich erwarte euch dort eine Stunde vor der Dämmerung.«
Gewohnheitsgemäß hatte Giulia sich so weit wie möglich von Fra Mariano entfernt aufgestellt, da dieser im Gegensatz zu den anderen Sängern immer wieder versuchte, sie anzufassen oder sie sogar tröstend an sich zu ziehen. Jetzt drängten sich so viele Sänger auffordernd um ihn herum, dass sie sich in den Hintergrund zurückziehen konnte, bis er seine Wahl getroffen hatte.
Ein wenig war sie erleichtert, dass sie nicht noch angesichts des Scheiterhaufens singen musste, doch Pierluigis Einladung, die dem Befehl zu erscheinen gleichkam, trieb ihr den kalten Schweiß aus den Poren. Verzweifelt überlegte sie, unter welchem Vorwand sie fernbleiben könnte. Doch bevor ihr auch nur die fadenscheinigste Begründung einfiel, hatte der Chormeister den Raum bereits verlassen. Die Mönche unterhielten sich angeregt über das zu erwartende Schauspiel und freuten sich offensichtlich, die Ketzer brennen zu sehen. Ehe Fra Mariano, der zu ihr hinüberblickte, sie ansprechen konnte, verließ sie rasch die Kirche.
In ihrer Wohnung angekommen, wusste sie noch immer nicht, was sie tun sollte. Eigentlich hatte sie nach der Probe Meister Galilei aufsuchen wollen, aber sie würde es nicht fertig bringen, mit ihm zu scherzen, und sie durfte ihm auch nicht ihre Gefühle offenbaren. Außerdem hätte sie auf dem Weg dorthin die Piazza dei Fiori überqueren oder einen großen Umweg in Kauf nehmen müssen. Beim Mittagessen erzürnte sie Assumpta, weil sie kaum einen Bissen aß. Sie versuchte, mit ihr über das Grauen zu reden, das sie empfand, kam bei ihr jedoch schlecht an.
Für Assumpta waren Ketzer Feinde der Menschheit, die ausgerottet werden mussten, damit sie keine rechtschaffenen Leute vom Weg zum Heil abbringen konnten. Sie verstand jedoch Giulias Widerwillen, der Bestrafung der Sünder zuschauen zu müssen, und redete ihr zu wie einem kranken Pferd. Zu ihrem Bedauern war Vincenzo nicht da, um dessen besänftigenden Einfluss auf Giulia sie wusste.
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