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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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zwar ein großer Komponist sein, aber er ist ein noch größerer Pedant.«
    Giulia sang erst ein paar Lieder für das Kind, bis es sich endlich beruhigt hatte und schlief. Dann folgte sie Galilei ins Studierzimmer und ließ sich die Notenblätter geben. Bereits auf den ersten Blick erkannte sie, dass Galilei Vincenzos Text in eine einfühlsame Melodie gekleidet hatte, die die Spannbreite ihrer Stimme ausgezeichnet zum Tragen brachte. Zum ersten Mal, seit sie in Rom war, bedauerte sie es, keine Zeit für private Auftraggeber zu haben. Mit diesem Lied hätte sie gewiss großes Aufsehen erregt.
    Sie übte nur ein wenig, weil sie müde war und ihre Stimme nicht überanstrengen durfte, bedankte sich dann herzlich für die Komposition und verabschiedete sich von ihren Gastgebern. Als sie auf dem Heimweg die Piazza dei Fiori erreichte, sah sie sich verwundert um. Sonst wimmelte es hier um diese Zeit noch von Blumenverkäuferinnen, doch an diesem Abend hatte die päpstliche Garde einen großen Teil abgesperrt, so dass sich die Leute an den Häusern vorbeidrängen mussten, um ihn zu überqueren. Auf der freien Fläche standen zwei mit Holzbündeln beladene Ochsenkarren. Einige Männer luden das Holz ab und stapelten es zu einem großen Haufen.
    Giulia wandte sich neugierig an eine Blumenverkäuferin, die gerade ihre Sachen zusammenpackte, und fragte sie, was das hier bedeuten solle. Die Frau lachte böse. »Die Männer schichten einen Scheiterhaufen auf. Du bist wohl nicht von hier, sonst müsstest du wissen, dass morgen drei elende Ketzer der himmlischen Gerechtigkeit überantwortet werden.«
    Giulia unterdrückte ein Zittern. Hier schienen ihre Albträume Gestalt anzunehmen. Um sich nichts anmerken zu lassen, fragte sie scheinbar interessiert: »Welche Ketzer?«
    Die Blumenhändlerin gab ihr nur allzu gern Auskunft. »Gesindel aus den Bergen, das die heilige katholische Kirche missachtet und sich den Propheten des Teufels hingegeben hat. Sie waren auf dem Weg nach Süden, um dort ihre Irrlehren zu verbreiten. In San Giustiano hat man sie erkannt und gefangen genommen. Morgen werden sie für ihre Gotteslästerung büßen.«
    Giulia dankte der Frau und wandte sich schnell ab. Sie hatte von Scheiterhaufen und Hexenverbrennungen geträumt, seit die alte Lodrina ihr für ihr Singen ein Ende im Feuer prophezeit hatte. Das war noch schlimmer geworden, als ihr Vater nach ihrem Auftritt im Kloster San Ippolito di Saletto erklärt hatte, sie würden beide auf dem Scheiterhaufen landen, wenn Giulias wahre Identität bekannt werden würde. Mit dieser Drohung hatte er sie später gezwungen, auf sein gefährliches Spiel einzugehen und für immer in die Rolle eines Kastraten zu schlüpfen. Bisher hatte die Freude am Singen die Angst vor einer Entdeckung überwogen, und seit ihrem wiederholten Aufenthalt bei der Gräfinwitwe von Falena waren die Albträume nur noch selten zurückgekehrt. Jetzt aber kroch die Angst wie ein kaltes Gespenst in ihren Nacken und krallte sich in ihr Herz.
    Zu Hause wunderte sich Vincenzo über das ausbleibende Lob für das Lied, das er für den Kastraten geschrieben und von Galilei hatte vertonen lassen. Zuerst war er enttäuscht, doch dann bemerkte er, wie bedrückt sein Freund war, und er forschte vorsichtig nach dem Grund.
    Nach einer Weile rückte Giulia mit der Sprache heraus. »Hast du davon gehört, dass morgen auf der Piazza dei Fiori Menschen verbrannt werden sollen?«
    »Ja. Es hängen überall Täfelchen an den Wänden, auf denen das angekündigt wird, und die Leute reden von nichts anderem mehr. Ehrlich gesagt, mich interessiert es nicht. Es handelt sich doch nur um ein paar elende Ketzer.«
    »Es sind Menschen, die auf grausame Art umgebracht werden sollen. Ich habe als Kind gesehen, wie ein paar Knaben eine Katze in einen Sack gesteckt und ins Feuer geworfen haben. Das arme Tier hat entsetzlich geschrien, und es stank danach fürchterlich.« Giulia schauderte es bei diesem Gedanken, und sie funkelte Vincenzo feindselig an. »Dir gefällt es wohl noch, wenn Menschen verbrannt werden.«
    Vincenzo schüttelte heftig den Kopf. »Gott bewahre! Aber wenn die Läuterung im Feuer die einzige Möglichkeit ist, ihre Seelen vor der ewigen Verdammnis zu retten …«
    Giulia fuhr auf. »Dann muss Gott wirklich grausam und kleinmütig sein. Nein, es kann nicht sein Wille sein, Menschen auf eine solche Weise leiden zu lassen. Es macht jene zu Tieren, die anderen so etwas antun.«
    Vincenzo war anderer Ansicht,

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