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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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übergossen. Für quälend lange Augenblicke hörte man nur das Prasseln des Feuers und die Gebete der beiden Ketzer. Bald aber gellten ihre qualvollen Schreie über den Platz. Der Geruch versengten Fleisches erfüllte die Luft und fraß sich wie Säure in Giulias Lungen.
    Giulia wusste später nicht mehr, wie sie die nächsten Minuten auf der Tribüne überstanden hatte. Noch lange, nachdem die Schreie der Ketzer verstummt waren, gellten sie ihr noch in den Ohren, und niemals in ihrem Leben war ihr so übel gewesen.

X .
    A n diesem Tag kam Vincenzo erst spät nach Hause. Assumpta, die aus lauter Sorge um Giulia keine Ruhe gefunden hatte, passte ihn ab und schüttet ihm ihr Herz aus. »Lieber Herr Vincenzo, ich habe Euch heute so vermisst. Giulio war völlig außer sich, als er nach Hause kam, denn er muss als Mitglied des Chores von Santa Maria Maggiore an der Ketzerverbrennung teilnehmen.«
    Vincenzo erinnerte sich an den Abscheu des Kastraten vor dem Flammentod und zuckte zusammen. »Giulio muss doch nicht etwa singen? Das könnte seine Stimme ruinieren.«
    »Das zum Glück nicht. Aber ich habe trotzdem Angst um sie … Signore Giulio.« Erst im letzten Moment begriff die alte Dienerin, dass sie beinahe Giulias Geheimnis aufgedeckt hätte. Zum Glück achtete Vincenzo nicht auf diese kleine Unsicherheit, sondern kratzte sich besorgt am Kopf. »Ich hoffe, Giulio macht keine Dummheiten. Wenn er auch nur andeutet, wie wenig er vom Verbrennen von Ketzern hält, holt er sich die Inquisition auf den Hals.«
    »Um der Jungfrau willen!«, rief Assumpta erschrocken. Wenn Giulia ihre Gefühle nicht im Zaum hielt, war sie in höchster Gefahr. Und nicht nur sie allein. Man würde sie alle verhaften. »Giulio ist immer so beherrscht. Er wird gewiss die Nerven bewahren«, versuchte Assumpta Vincenzo und sich selbst zu beruhigen.
    Vincenzo zog die Schultern hoch, als fröre er plötzlich. »Das ist richtig. Trotzdem mache ich mir Sorgen. Ich habe den Verdacht, dass in Giulios Brust ein Feuer lodert, das er nur mühsam beherrschen kann.«
    Assumpta musste ihm insgeheim Recht geben. Als kleines Mädchen war Giulia voller Lebensfreude gewesen, und nichts hatte darauf hingedeutet, dass sie einmal so kühl und abweisend werden würde wie ein nordischer Eisblock. Unter der Schale scheinbar vollkommener Selbstbeherrschung lauerte jedoch ein wildes Temperament, das, wenn es sich am falschen Ort entlud, zur Katastrophe führen konnte. Sie fasste Vincenzo am Ärmel und sah ihn bittend an. »Könnt Ihr zur Piazza dei Fiori gehen und nach Giulio schauen? Er braucht vielleicht Eure Hilfe.«
    »Ich hoffe, es wird nicht nötig sein.« Vincenzo versuchte, seine Stimme mutiger klingen zu lassen, als er sich fühlte. Ohne zu wissen, wie er Giulio helfen sollte, hastete er zum Blumenmarkt, der seinem Namen heute keine Ehre machte. Er fand den Platz gedrängt voll mit Menschen und musste seine Ellbogen einsetzen, um auch nur in die Nähe der Tribüne zu gelangen. Dort stellte sich ihm jedoch die Schweizergarde mit gekreuzten Hellebarden in den Weg.
    Vincenzo versuchte, unter den vielen Menschen, die auf der Tribüne saßen und das Schauspiel wie ein Volksfest genossen, den Kastraten auszumachen. Eine Nadel im Heuhaufen zu finden wäre einfacher gewesen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als dem schaurigen Geschehen zu folgen und zu hoffen, dass Giulio seine Selbstbeherrschung nicht verlieren würde. Zuerst starrte er die verurteilten Ketzer an und fühlte fast denselben Hass gegen sie wie die Menschen um ihn herum. Bald aber widerte ihn das Schauspiel an, und er begann Giulios Haltung zu verstehen. So grausam konnte Gott wirklich nicht sein. Am liebsten hätte er sich zurückgezogen, eingekeilt in der Menschenmenge und direkt unter den Augen der Schweizergarde war das unmöglich. So wandte er nur seinen Blick ab, um das Feuer und die Todesqualen der Verbrennenden nicht mehr mit ansehen zu müssen. Um ihn herum tobte die Menschenmenge voller Begeisterung. Hier in Rom, dem Zentrum der Christenheit, konnte kein Ketzer, der die Autorität des Papstes leugnete, auf Gnade hoffen.
    Erst etliche Zeit später, als das Feuer endlich niedergebrannt war, begann der Platz sich zu leeren. Pius  IV . kehrte mit seinen Begleitern und Würdenträgern in den Lateranpalast zurück, während sich die Menge in den Straßen und Gassen Roms verlief. Nur die Henkersknechte blieben, um die verkohlten Reste der Ketzer in die Kloake zu schaufeln. Vincenzo sah ihnen mit

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