Die Kastratin
Mit viel Mühe gelang es ihr, Giulia so weit aufzurichten, dass sie zwar blass, aber gefasst zur Piazza dei Fiori aufbrechen konnte.
Auf dem Platz war mittlerweile eine Tribüne errichtet worden, die etwa hundert Menschen Platz bot. Sie war mit rotem Tuch verhüllt, auf dem das päpstliche Wappen und das der Medici prangte, und ließ das sonst von Blumen überquellende Geviert düster erscheinen. Auf Giulia wirkte die Piazza nun wie der Vorhof zur Hölle. Während sich die einfachen Leute in dichten Trauben auf den freien Flächen ballten und sich immer weiter nach vorne schoben, um einen guten Platz zu ergattern, war die Tribüne noch so gut wie leer.
Giulia sah nur die vielen Menschen, die ihr den Weg versperrten, und wollte sich in eine Nische zurückziehen. Da entdeckte sie einer der Mönche aus dem Chor von Santa Maria Maggiore, packte sie am Ärmel, ohne ihren Arm zu berühren, und zog sie mit sich. Giovanni Pierluigi war ebenfalls schon anwesend. Er unterhielt sich mit einem Offizier der Schweizergarde, die einen Ring um die Tribüne bildeten, um das Volk abzudrängen und den Gästen Seiner Heiligkeit den Weg frei zu machen. Händler schoben sich durch die immer dichter stehenden Menschen-massen, verkauften Wein, Gebäck und Obst und machten das Chaos perfekt. Giulia hörte das erwartungsfrohe Lachen ringsum und biss die Zähne zusammen, während sie den Mönchen folgte und sich auf den ihr zugeteilten Platz setzte.
Einige der Würdenträger auf der Tribüne riefen die Händler zu sich und befahlen ihnen, Wein und Kuchen an die Leute in ihrer Umgebung auszuteilen. Auch Giulia wurde ein voller Weinbecher in die Hand gedrückt. Sie wusste nicht, was sie mit ihm anfangen sollte. Ihr Mund war trocken, doch sie brachte keinen Tropfen über die Lippen. Die anderen Chormitglieder lobten die großzügigen Spender und ließen es sich schmecken. Giulia stellte ihren Becher schließlich zwischen die Füße und starrte auf die schwappende Flüssigkeit, als erwarte sie jeden Moment etwas herauskriechen zu sehen.
Aufschwellendes Gemurmel ließ sie unwillkürlich aufschauen. Ein Ochsenkarren rollte auf den Platz zu, flankiert von Schweizer Gardisten mit gesenkten Hellebarden. Die tief stehende Sonne spiegelte sich rot auf den polierten Brustpanzern und Helmen und tauchte die blaugoldenen Uniformen der Soldaten in ein unheimliches Licht. Mehrere Dominikanermönche in weißen Kutten, über die sie schwarze Kapuzenmäntel trugen, folgten dem Karren. Sie hielten Kreuze in der Hand und beteten mit weithin hallenden Stimmen.
Giulias Blicke galten jedoch weniger den aufgeputzten Gardisten und den düster wirkenden Mönchen als vielmehr den drei armseligen Gestalten auf dem Karren, die mit einfachen, weißen Hemden bekleidet waren. Raue Hände hatten ihre Köpfe kahl geschoren, und sie trugen die Spuren von Misshandlungen. Erst als der Karren neben der Tribüne stehen blieb, konnte Giulia erkennen, dass es sich um zwei Männer und eine Frau handelte, die mit weit aufgerissenen Augen auf den Holzstoß starrten, der ihnen den Tod bringen sollte. Als der Karren hielt, trat einer der Mönche auf die drei Ketzer zu. »Bereut eure Sünden, werft euch vor Seiner Heiligkeit zu Boden, und euch wird ein leichter Tod geschenkt.«
Einer der Männer zuckte zusammen, während sein Gefährte und die Frau die Köpfe wegdrehten, um den Mönch nicht ansehen zu müssen. »Kehrt zurück in den Schoß der allein selig machenden katholischen Kirche, und eure Seelen werden von hier aus schnurstracks ins Paradies eilen«, fuhr der Mönch mit donnernder Stimme fort. »Tut ihr es jedoch nicht, seid ihr auf ewig verdammt!«
»Gnade!«, schrie einer der Männer. Er fiel vor dem Mönch in die Knie und fasste den Saum seines Mantels. Der Dominikaner beugte sich zu ihm nieder und reichte ihm das Kreuz zum Kuss. Der Ketzer presste seine Lippen darauf und sah mit heimlicher Hoffnung zu dem Mönch auf. »Ich bereue, mich von der Heiligen Kirche abgewandt zu haben und falschen Propheten gefolgt zu sein«, rief er so laut, dass es alle auf dem Platz hören konnten. »Gewährt mir die Gnade und schenkt mir das Leben.«
Der Dominikaner trat einen Schritt zurück und sah zur Tribüne hinüber.
Giulia folgte unwillkürlich seinem Blick und bemerkte erst jetzt, dass Pius IV . und dessen Gefolge mittlerweile ihre Plätze eingenommen hatten. Der Papst wirkte leidend und sah älter und verfallener aus, als er nach Jahren zählte. Er war in ein reich besticktes
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