Die Kastratin
heimlichem Grausen zu, bis er sich erinnerte, warum er eigentlich hergekommen war. Er suchte den Kastraten und fand ihn schließlich am Fuß der Tribüne kauernd.
Giulia sah Vincenzo auf sich zukommen und hätte ihn am liebsten umarmt. Stattdessen schüttelte sie nur fassungslos den Kopf. »Ich verstehe das Ganze nicht. Es hieß doch, das Feuer würde die Seelen der Ketzer reinigen, so dass sie doch noch auf Erlösung hoffen können. Doch der schreckliche Mönch drohte ihnen sämtliche Höllenstrafen an. Warum müssen die Menschen solche Leute hier in dieser Welt so quälen, wenn sie ohnehin verdammt sind?«
Vincenzo versuchte, die Sorgen des Sängers leichthin abzutun. »Du sprichst fast wie ein Mädchen, Giulio. Ich habe es längst aufgegeben, mir Gedanken über die irdische Gerechtigkeit zu machen, geschweige denn über die himmlische. Komm, steh auf. Ich bring dich nach Hause.«
Giulia stand gehorsam auf, presste dann jedoch den rechten Arm gegen den Bauch. »Mir ist so schlecht, Vincenzo. Der Gestank nach brennendem Fleisch ist entsetzlich. Ich werde ihn nie mehr vergessen können.«
Vincenzo fasste den Kastraten um die Schulter und drückte ihn tröstend an sich. »Kopf hoch, Giulio. Du musst es wenigstens bis zur nächsten Straße schaffen. Wenn dir hier übel wird, könnten es die Henkersknechte mitbekommen und sich Gedanken über dich machen. Denn laut der heiligen Inquisition gleicht der Gestank eines brennenden Ketzers den Wohlgerüchen des Paradieses.«
»Dann will ich niemals dorthin kommen.« Giulia wollte noch mehr sagen, doch in dem Moment stieg eine weitere Welle der Übelkeit in ihr hoch. Sie presste die Lippen mit aller Kraft zusammen und ließ sich von Vincenzo in eine Seitengasse führen. Dort erbrach sie sich und fühlte sich danach so schwach, dass sie kaum mehr einen Schritt vor den anderen setzen konnte.
Als Vincenzo sie unter den Armen fasste, kam er ihren eingeschnürten Brüsten ziemlich nahe. Giulia versteifte sich unter seinem Griff. Lange Jahre hatte nur Assumpta sie so berührt. Sie spürte jedoch, dass es ihr gut tat, sich an seine Schulter zu lehnen und sich von ihm nach Hause führen zu lassen. Dort nahm sich Assumpta ihrer an und wusch ihr das beschmutzte Gesicht und die Hände ab. Giulia wollte die Kleidung, die sich mit dem Gestank nach brennendem Fleisch vollgesogen hatte, nicht mehr anrühren. So musste Assumpta sie ausziehen wie ein kleines Kind.
Giulia sah das Wams voller Ekel an. »Verbrenn das Zeug, Assumpta. Ich kann es nicht mehr tragen.«
Assumpta fasste ihre Schultern und sah sie ernst an. »Um Gottes willen, Kind, nimm dich zusammen! Wenn jemand merkt, dass du nicht über den Tod dieser bösen Ketzer frohlockst, wird man dich selbst für einen von denen halten.«
»Ich hasse dieses Rom«, brach es aus Giulia heraus. »Es mag wegen mir großartig sein. Aber es ist mir zu grausam.«
Assumpta zuckte mit den Schultern. »Rom ist nicht grausamer als andere Städte auch. Man hat auch in Saletto Ketzer und Hexen verbrannt. Das war aber lange, bevor du geboren wurdest.«
Giulia sah sie mit großen Augen an. »Hast du jemals dabei zusehen müssen?«
Im nächsten Moment zog sie die Decke hoch, denn die Tür sprang auf und Vincenzo steckte den Kopf herein. »He, Giulio, bist du wieder in Ordnung? Ich wollte mich entschuldigen, weil ich vorhin so dumm daher geredet habe. Ich habe mir ja nur Sorgen gemacht, dass jemand deinen Zustand bemerken könnte. Glaub mir, ich verstehe dich. Durch deine Verstümmelung bist du nun einmal sensibler als ein normaler Mann. Ich muss selbst zugeben, dass ich zuletzt nicht mehr hinsehen konnte.«
Vincenzo sah so geknickt aus, dass Giulia das Gefühl hatte, ihn trösten zu müssen. Sie konnte ihn jedoch nicht ins Zimmer lassen, da die Decke ihren ungeschnürten Busen nur unzureichend verbarg. »Es ist schon gut, Vincenzo. Du hast nichts gesagt, was dich reuen müsste. Mir geht es schon wieder besser. Sicher war es die Schwüle des heutigen Abends, die mir zusammen mit dem Gestank des Scheiterhaufens zugesetzt hat. Du wirst sehen, morgen bin ich wieder auf den Beinen.«
Giulia versuchte, beschwichtigend zu lächeln. Sie konnte ihm ja nicht sagen, wie sehr ihr vor dem nächsten Tag graute. Der Gedanke, wieder gemeinsam mit den Mönchen, die den Tod der armen Menschen so bejubelt hatten, zur Ehre Gottes singen zu müssen, fachte die Übelkeit in ihr nur weiter an. Sie durfte jedoch nicht wegbleiben und sich bei Palestrina entschuldigen
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