Die Kastratin
seid noch geschickter, als ich dachte. Bei solchen Liedern wird niemand vermuten, dass hier noch ganz andere Dinge vorgehen.«
Giulia hätte am liebsten den Choral abgebrochen und diesem Lüstling gesagt, was sie von ihm hielt. Doch sie hatte zu viel Angst, dass die Sache hier entdeckt wurde. So versuchte sie, sich voll und ganz in ihren Gesang zu flüchten, bis sie nichts mehr um sich herum wahrnahm. Sonst gelang ihr dies immer recht schnell. Doch diesmal schien es, als würden Paolos erregtes Keuchen und die leise, vor Lust zitternde Stimme der Frau ihrem Geist Fesseln anlegen und ihre Sinne zwingen, Zeuge ihrer Sünde zu sein.
Giulia hatte noch nie Menschen bei der Liebe beobachtet, doch ganz unwissend war sie natürlich nicht. In dem kleinen, engen Häuschen damals in Saletto war es nicht ausgeblieben, dass sie Ohrenzeugin einiger Liebesakte ihrer Eltern geworden war. Einmal hatte sie sogar Assumpta und Beppo als eng aneinander gepresste, dunkle Gestalten im Anbau entdeckt und war erschrocken davongelaufen.
Was Paolo jedoch mit Leticia Pollai trieb, war nicht die sanfte, verständnisvolle Liebe zweier Eheleute, sondern ein hartes und brutales Niederzwingen der Frau. Giulia starrte auf die beiden verzerrten Schatten, die der flackernde Schein der Kerzen auf die Wand malte, und empfand nichts als Abscheu. Bei diesem Anblick war sie beinahe froh um ihre Rolle als geschlechtsloses Wesen. Leticia Pollai schien ganz anders zu empfinden, denn sie stöhnte und stieß immer wieder kleine, lustvolle Schreie aus.
Aus Angst, man könnte die beiden hören, sang Giulia immer lauter und betete dabei zur Jungfrau Maria, dass es bald vorbei sein würde. Als Paolo nach einem letzten, brünstigen Ächzen über der Frau zusammenbrach, dachte sie schon, die Angelegenheit sei damit zu Ende. Doch Paolo schien seine Rache an Baldassare Pollai gründlich auskosten zu wollen, denn er verlangte von Leticia, dass sie ihm noch ganz anders zu Willen war als ihrem Ehemann.
Obwohl Giulia ihnen den Rücken zuwandte, zeigten ihr die Schatten, die allgegenwärtig zu sein schienen, wie er die Frau mit nur geringer Überredung dazu brachte, ihm ihren Mund anzubieten, und sie schließlich auf jene Art nahm, wie es Männer miteinander trieben und die von den Priestern Sodomie genannt und als eine der Todsünden bezeichnet wurde. Die Augen zu schließen wagte Giulia jedoch nicht, aus Angst, sie könne übersehen, wenn sich jemand dem Pavillon näherte.
»Wenn du willst, gehört Leticias Mund dir. Vielleicht empfindest du Freude daran«, bot Paolo ihr schließlich an.
Giulia prallte herum, um ihm ihren Abscheu ins Gesicht zu schleudern, und sah am Blick der Frau, dass diese auch dazu bereit war. Im letzten Augenblick bezwang sie ihren Zorn und presste die Zähne zusammen. Paolo winkte auffordernd. Doch als Giulia abwehrend den Kopf schüttelte, verzog er sein Gesicht zu einem mitleidig-boshaften Lächeln. »Dir hat man anscheinend besonders viel weggeschnitten. Ich kenne Kastraten, die sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen würden.«
Giulia erschrak. Wie es aussah, wusste sie noch viel weniger über Kastraten, als sie gedacht hatte, und fürchtete sich mehr denn je vor einer Entdeckung. In ihrer Verwirrung stimmte sie ein weiteres frommes Lied an. Kurz darauf war es vorbei. Paolo Gonzaga erhob sich sichtlich zufrieden und begann sich anzuziehen. Da Leticia Pollai mit geschlossenen Augen und entrückter Miene liegen blieb, gab er ihr einen Klaps auf den bloßen Hintern. »Steh auf und kleide dich an. Oder willst du, dass die Diener deines Mannes Stielaugen bekommen, wenn sie dich so sehen? Bist du etwa immer noch nicht ganz zufrieden gestellt?«
Leticia Pollai sprang erschrocken auf. »Du willst mich verlassen?«
»Was heißt wollen? Ich muss gehen. Oder möchtest du unbedingt erfahren, was dein Mann dazu sagt, wenn er uns in trauter Zweisamkeit findet?« Paolos Stimme klang wie das zufriedene Schnurren eines fetten, alten Katers. Er hatte heute bei Pollais Frau weitaus mehr erreicht, als er sich vor einigen Wochen hatte erträumen können. Nach diesem Tag trug der Goldschmied ein unsichtbares Geweih, das zu groß war, um noch durch ein Tor zu passen. Jetzt zählte nur noch seine eigene Sicherheit. Er musste so schnell wie möglich von hier fort, denn Pollai konnte nun jeden Moment nach Hause zurückkehren, und es bestand die Gefahr, dass er sich den Kastraten selbst ansehen und anhören wollte. Er befahl Giulia, mit dem Gesang
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