Die Kastratin
Handwerksmeister noch ablehnen, so gefragt war ich. Doch heute würden wir ohne das Interesse der Bürgersleute schon am Hungertuch nagen.«
Giulia sah ihren Vater bittend an, doch er rührte sich nicht. Es war, als ginge ihn das alles nichts an. Wie es schien, wollte er der Tatsache nicht ins Auge sehen, dass die adlige Gesellschaftsschicht, vor der Giulia zu Beginn ihres Aufenthalts in Mantua aufgetreten war, sie mittlerweile fast vollständig ignorierte und sie ihre Engagements jetzt vor allem bei den Standesgenossen des Goldschmieds Baldassare Pollai fand.
Obwohl seit Paolo Gonzagas üblem Streich viel Zeit vergangen war, tat es Giulia immer noch in der Seele weh, dass ausgerechnet der betrogene Pollai ihr den Weg zu seinen Freunden und Zunftgefährten geebnet hatte. Sie erinnerte sich auch noch deutlich an die Angst, die sie in den ersten Wochen danach ausgestanden hatte. Wenn Paolo mit seinem Erfolg bei Leticia Pollai geprahlt hätte, wäre es ihr wahrscheinlich schlimm ergangen. Doch zu ihrem Glück war er kurz nach den Ereignissen wegen einer anderen Sache bei Herzog Guglielmo in Ungnade gefallen und hatte Mantua eilig verlassen müssen. Soweit sie erfahren hatte, war er mittlerweile in spanische Dienste getreten und Offizier in Sizilien geworden. Sie schüttelte den Gedanken an ihren einstigen Gönner und späteren Peiniger ab und irritierte mit ihrer unbewussten Kopfbewegung ihren Vater. »Du wirst sehen, es kommt schon wieder alles in Ordnung, mein Kind. Immerhin hast du die erhoffte Einladung des Herzogs erhalten. Du darfst vorsingen und wirst den Posten des Hofkastraten erhalten.« Seine Miene verriet, dass er noch nicht einmal über Giulias Worte nachgedacht hatte. »Die Einladung haben noch zwei andere, zwei echte Kastraten erhalten.« Giulia erinnerte sich nur mit einem gewissen Schaudern an ihr erstes Zusammentreffen mit Giacomo Belloni, den sie den Unvergleichlichen nannten.
Der Kastrat war ein groteskes Geschöpf, nicht größer als sie selbst und dabei so feist, dass sein ausladendes Gesäß fast waagrecht nach hinten ragte. Am meisten hatte sie jedoch sein wogender, weit auseinander stehender Busen entsetzt, den er fast wie ein Standesmerkmal zur Schau stellte. Auch sein Gesicht hatte nichts Männliches mehr an sich, sondern ähnelte dem einer fetten Frau. Zuerst war Belloni ihr wie eine Kreatur erschienen, die sich ein krankes Gehirn erdacht haben musste. Doch in dem Augenblick, in dem sie zum ersten Mal seine klare, meisterlich geschulte Stimme vernahm, hatte sie alle seine körperlichen Beeinträchtigungen vergessen und tiefe Hochachtung vor ihm empfunden.
Belloni war es auch, der nun in den Kreisen des Mantueser Adels herumgereicht und bewundert wurde. Der zweite Kastrat, Sebaldi, der im Alter etwa zwischen dem über dreißigjährigen Belloni und ihr selbst stand, war ebenfalls ein gern gesehener Gast in den herrschaftlichen Salons, obwohl Giulia seine Stimme als eher mittelmäßig einstufte. Aber er verfügte über ein weitaus größeres Repertoire als sie, wobei er sich auch darin nicht mit Belloni messen konnte.
Erst als ihr Vater sich räusperte und den Weinkrug deutlich hörbar auf den Tisch zurückstellte, wurde sie sich seiner Gegenwart wieder bewusst. Er schien mit der Entwicklung vollkommen zufrieden zu sein und nahm Giulias Konkurrenten nicht ernst.
Giulia stemmte die Hände in die Hüften. »Begreifst du es denn nicht, Vater? Ich bin zwar zu dem Sängerwettstreit bei Hofe eingeladen worden, doch gewinnen kann ihn nur einer, und das werde nicht ich sein.«
Jetzt zuckte er doch etwas zusammen. »Das darfst du nicht sagen«, tadelte er sie. »Deine Stimme ist unvergleichlich.«
»Meine Stimme vielleicht, doch nicht meine Ausbildung. Wie oft habe ich dich gebeten, mir neue Noten und Lieder zu besorgen? Du hast ja nicht gehört, wie meine Zuhörer tuschelten, dass meine Vortragsspanne doch etwas arg eingeschränkt sei.« Diesmal wollte Giulia das Thema durchfechten, auch wenn sich ihr Vater wand ein glitschiger Aal. »Ich habe dir doch erst letzten Monat eine neue Kanzonette besorgt.« Girolamo Casamonte sah seine Tochter empört an. »Ja, von einem Jahrmarktsmusikanten, der im Vertrauen gesagt noch schlechter komponiert als du.« Giulia war es nun gleichgültig, ob sie ihren Vater mit diesen Worten verletzte oder nicht. »Wenn ich so einen Schund vortrage, beschleunige ich nur meinen Abstieg. Jetzt steht den Mantuesen ein Belloni zur Verfügung, und auch Sebaldi hat schon
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