Die Kastratin
wie sie es ihm erklären sollte. Doch wenn sie das Geld den Armen spenden wollte, musste er wissen, warum. Sie bat ihn daher, sich neben sie zu setzen, und berichtete ihm, durch welche Kur Pollais Ehefrau geheilt worden war. Sie wunderte sich, als er plötzlich schallend zu lachen begann, setzte aber hinzu, dass sie dieses Sündengeld nicht behalten, sondern in die Kirche Don Giantolos tragen wollte.
In diesem Augenblick verstummte sein Lachen jäh, und er starrte sie an, als könne er es nicht glauben. »Du bist verrückt. Ich denke nicht daran, das viele Geld in die Gosse zu werfen. Gib her.« Mit diesen Worten entwand er ihr die Goldstücke und Gonzagas Börse und steckte beides ein. Als er ihr entsetztes Gesicht sah, reichte er ihr zwei Barbonestücke. »Das wird wohl ausreichen, um dein Gewissen zu entlasten. Schade um das schöne Geld, aber ich will mal nicht so sein.«
Giulia sah in sein selbstzufriedenes, leicht aufgedunsenes Gesicht, das ihr mit einem Mal wie das eines Fremden erschien, und begriff, dass sie seit ihrer Flucht aus Saletto mehr verloren hatte als nur die Heimat. Sie hatte jetzt auch keinen Vater mehr.
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Dritter Teil
Höhen und Tiefen
I .
G iulia musterte ihren Vater und fand, dass die zwei Jahre des Wohllebens in Mantua tiefe Spuren bei ihm hinterlassen hatten. Sein Leibesumfang hatte sich beträchtlich vermehrt, und sein einst eher hageres Gesicht zeigte deutliche Ansätze zu Hamsterbacken und Tränensäcken. Wie ein wohlhabender Händler trug er je zwei goldene Ringe an den Fingern seiner schlaff gewordenen Hände. Sein dunkelblaues Wams strotzte nur so vor Gold- und Silberstickereien und war mit rosenroter Seide ausgefüttert. Auch die gelbe Hose, die sich schon lächerlich eng um seine fett gewordenen Schenkel spannte, war aus den besten Stoffen gewirkt und wies eine so übertrieben große Schamkapsel auf, als besäße er das Gemächt eines Hengstes.
Wieder einmal wurde Giulia bewusst, wie fremd ihr der Mensch geworden war, den sie einmal geliebt und verehrt hatte. Er selbst schien ebenso zu empfinden, denn er kümmerte sich nicht mehr um sie und ihre Belange, sondern begnügte sich damit, die Börsen in Empfang zu nehmen, die sie ihm beinahe allmorgendlich auf den Tisch legte. Es war auch schon geraume Zeit her, dass er sie selbst zu ihren Konzerten begleitet hatte. Das war jetzt Beppos Aufgabe, obwohl der treue Alte den Bauernkittel mit einer prachtvoll aufgeputzten Livree hatte vertauschen müssen, in der er sich mehr als unbehaglich fühlte. Doch ihr zuliebe taten Beppo und seine Frau Assumpta alles, was in ihren Kräften stand. Giulia wollte sich nicht einmal vorstellen, was sie ohne diese beiden Menschen getan hätte.
Girolamo Casamonte, der seinen alten Namen Fassi längst vergessen hatte, wurde unter Giulias abschätzigem Blick sichtlich unruhig. »Was ist denn los mit dir?«, fragte er mit der quengelnden Stimme eines kleinen Jungen, der sich bei seinem Lieblingsspiel gestört fühlt. In seinem Fall war es der Wein, der in einer großen Zinnkanne vor ihm auf dem Tisch stand und darauf wartete, in den zierlichen Pokal gefüllt zu werden, den Casa-monte bereits in der Hand hielt.
»Ich muss mit dir reden.« Giulias Stimme klang schärfer als beabsichtigt, doch sie bedauerte es nicht.
»Was willst du denn? Wieder einmal ein paar Bussolas für Don Giantolos Opferstock?« Er griff ächzend unter sein Wams und holte seine Börse hervor.
Giulia hätte ihn am liebsten geohrfeigt. »Es geht mir nicht um ein paar Groschen, sondern um unsere Zukunft.«
»Wieso? Es steht doch alles zum Besten.« Casamonte verstand nicht, wieso seine Tochter sich Sorgen machte. Schließlich verging kaum ein Abend, an dem sie nicht zu einem Fest oder einem Konzert gerufen wurde und mit einer vollen Börse zurückkehrte. Daher winkte er ab und erklärte seiner Tochter, sie sähe alles viel zu schwarz.
Giulia fühlte sich ihrem Vater gegenüber so unendlich hilflos, aber sie wollte wenigstens versuchen, ihm einiges klar zu machen. »Ich weiß nicht, ob dir aufgefallen ist, dass ich in den letzten beiden Monaten nur noch vier Auftritte in herrschaftlichen Häusern hatte. Vor drei Monaten waren es noch neun und davor elf. Dich kümmert es ja nicht im Geringsten, ob die Börsen, die ich dir bringe, ein Wappen oder ein Zunftzeichen tragen. Doch ich merke deutlich, dass meine Zeit in Mantua abläuft. Vor einem Jahr musste ich Einladungen in die Häuser wohlhabender Kaufleute und
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