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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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dabei anwesend sein. Giulia fragte sich nur, ob es ihrem Peiniger tatsächlich gelingen würde, sich dort als Kastratensänger einzuschleichen. Pollai kannte ihn persönlich und hätte schon mit Blindheit geschlagen sein müssen, um ihn nicht wiederzuerkennen. Einesteils hoffte sie, dass der Schwindel aufflog. Gleichzeitig aber fürchtete sie sich vor dem, was die Leute des Goldschmieds mit ihr anstellen mochten, wenn herauskam, dass sie die Gehilfin oder vielmehr der Gehilfe Paolo Gonzagas bei dessen perfiden Plan gewesen war.
    Als Assumpta ihr die Ankunft der Sänfte meldete, die sie zu Pollais Villa bringen sollte, zog Giulia ihren Mantel enger um sich, damit die Dienerin nicht sah, dass sie heute nicht das prunkvolle Gewand trug, mit dem sie sonst zu ihren Auftritten ging, sondern ihr altes Reisewams, das sie bei ihrer Ankunft in Mantua getragen hatte. Sie eilte rasch die Treppe hinab und verließ das Goldene Lamm durch den Hintereingang. »Seid Ihr Signore Casamonte?«, fragte einer der vier Sänftenträger, wie seine Kameraden ein großer, grobschlächtiger Kerl, der sich nur dadurch von diesen unterschied, dass er sich gepflegter ausdrücken konnte. Als Giulia nickte, öffnete er den Schlag und ließ sie einsteigen. Im Schein der Lampe, die ein kleiner Junge trug, um den Sänftenträgern den Weg zu leuchten, sah sie Paolo in der Sänfte sitzen. Sie hatte Pollai in seinem Auftrag schreiben müssen, dass er sie nicht abzuholen zu lassen brauchte, weil sie selbst für ihren Transport zu seinem Haus sorgen würde.
    Widerwillig musste sie zugeben, dass sich Gonzaga sorgfältig auf den heutigen Abend vorbereitet hatte. Er trug ein Gewand, das ihrer neuen Robe sehr ähnlich war, und hatte sein Gesicht so weiß geschminkt, dass es wie eine Maske wirkte. Seine Hände wirkten seltsam schlaff, und mit seinen ausgepolsterten Hüften und dem künstlichen Bauchansatz sah er wirklich wie eine Missgeburt aus. In dieser Ausstaffierung würden ihn sogar seine besten Freunde nicht erkennen.
    »Na? Zufrieden?«, fragte er spöttisch, als sie mit ihrer Musterung fertig war und den Blick abwandte.
    »Ihr habt Euch recht gut zurechtgemacht. Ich weiß nur nicht, ob Ihr Pollai mit Eurer Maske täuschen könnt. Eifersüchtige Ehemänner haben oft einen sehr scharfen Blick«, erwiderte Giulia so gelassen, wie es ihr möglich war.
    »Du sprichst, als hättest du eine langjährige Erfahrung in diesen Dingen. Dabei kannst du kaum älter als achtzehn sein.«
    Giulia war etwas über sechzehn, aber das konnte sie ihm kaum sagen und hüllte sich daher in Schweigen. Während die Sänftenträger ihre Last wieder aufnahmen und sie in ihrem eigentümlichen Trab, der die Sänfte kaum schaukeln ließ, durch die Straßen trugen, sprach Paolo Gonzaga mit der Zufriedenheit eines Mannes weiter, der nichts dem Zufall überlassen hatte. »Baldassare Pollai wird heute gar nicht anwesend sein. Ein guter Freund von mir hat ihn zu sich eingeladen. Pollai wird es wohl kaum ausschlagen, da er schon seit Monaten danach giert, mit meinem Freund ins Geschäft zu kommen.«
    »Ihr seid ein Teufel«, entfuhr es Giulia unwillkürlich.
    »Herzlichen Dank für das Kompliment.«
    Giulia wusste nicht, ob er es ernst meinte oder sie nur verspotten wollte. Es waren die letzten Worte, die zwischen ihnen fielen, bis sie das etwa eine knappe Meile vor der Stadt gelegene Landhaus erreichten. Mehrere Bedienstete eilten mit Laternen heraus, um sie zu empfangen, und der Haushofmeister öffnet persönlich den Vorhang der Sänfte. »Buon giorno, Messer Casa-monte. Seid uns willkommen. Wir hoffen, Ihr könnt die Dame Leticia beruhigen. Sie war eben noch sehr aufgebracht und äußerte, Euch nicht sehen zu wollen.«
    »Meinem Charme kann sich keine Frau entziehen«, antwortete Paolo Gonzaga mit unnatürlich hoher Stimme. Da er diese auch bei seinen nächsten Sätzen mühelos beibehielt, musste er lange geübt haben, fand Giulia, die wie ein Häuflein Elend hinter ihm ausstieg. »Mein Famulus und Page«, stellte Gonzaga sie vor. »Seine edelsten Teile wurden ebenfalls der Kunst geopfert, doch hielt seine Stimme später nicht, was man sich von ihr versprach. Nun steht er in meinen Diensten.«
    Seine Frechheit empörte Giulia ebenso wie seine Schamlosigkeit. Er entließ jetzt die Sänftenträger mit dem Befehl, ihn eine Stunde nach Mitternacht wieder abzuholen. Dann wandte er sich an Pollais Haushofmeister und forderte ihn auf, sie zu der kranken Dame zu bringen. »Ihr seid also sicher,

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