Die Kastratin
mich an. Ich bin von meinem Vater abhängig und kann ihn nur bitten, dass er mit mir zu einem der großen Musiklehrer reist.«
»Warum geht Ihr nicht an eines der großen Konservatorien und schließt Euch dem dortigen Chor an?«
Giulia konnte ihm nicht sagen, dass sie an einem Ort, wo so viele Sänger auf engem Raum zusammen wohnten, einer Entdeckung nicht lange entgehen würde. Daher zuckte sie mit den Achseln. »Ich singe am liebsten allein.« Es war eine unzulängliche Erklärung, das wusste sie. Zu ihrer Erleichterung schien Vincenzo diese Haltung zu akzeptieren. »Ich glaube auch, dass es für Euch besser wäre, Euch von einem der wirklich großen Musiklehrer ausbilden zu lassen. Was haltet Ihr von Andrea Gabrieli? Soweit ich weiß, wurde er vor kurzem als Organist an die Kirche San Geremia in Venedig berufen. Die Dogenstadt würde Euch sicher gefallen.«
Giulia lächelte sehnsüchtig. »Wie gern würde ich dorthin gehen und Stunden nehmen. Vielleicht könntet Ihr meinen Vater überzeugen, dass es notwendig ist. Er ist der Meinung, er hätte mich gut genug ausgebildet.«
»Das hat er gewiss nicht. Ich werde mit ihm reden.« Vincenzo bereute das Versprechen in dem Augenblick, in dem er es gab. So wie Casamontes Vater gestern ausgesehen hatte, kam der Mann so schnell nicht mehr auf die Beine. Bliebe er hier, wäre er tagelang auf die Mildtätigkeit des jungen Kastraten angewiesen, und das ließ seine Ehre nicht zu. Verzweifelt suchte er nach einer Ausrede, lachte aber schließlich über sich selbst. Nicht einmal das naivste Gemüt würde ihm abnehmen, dass ihn Geschäfte oder andere Gründe daran hinderten, länger hier zu verweilen. Er blickte den Kastraten an, der eine für seine Spezies ungewöhnliche Ruhe ausstrahlte. »Wenn ich es richtig überlege, würde ich eher Vincenzo Galilei vorschlagen. Er lebt als Musik- und Lautenlehrer in Rom und hat einige in meinen Augen überwältigende Theorien über den polyphonen Chorgesang entwickelt. Ich glaube, er wäre der richtige Mann für Euch.«
Wenn er schon bleiben und vom Brot eines Nichtmanns leben musste, sagte Vincenzo sich, dann wollte er ihm zumindest mit Ratschlägen dienen. Er überlegte kurz und erklärte Giulio anhand eines Liedes, das derzeit recht populär war, inwieweit sich Galileis Theorien von denen der traditionellen Musiklehre unterschieden. Er merkte rasch, dass der junge Casamonte in den letzten Jahren etliches gelernt hatte, wofür er nicht nur diesen Pater Franco Spalderi verantwortlich machte. Der Kastrat schien mehr Disziplin und Lerneifer als andere Verschnittene zu besitzen. Dennoch hätte er den Mönch gerne kennen gelernt. Ihm sagte der Name Spalderi nichts, doch er wusste, dass auf abgelegenen Adelssitzen oft wahre Edelsteine zu finden waren. Der Mönch schien einer davon zu sein, ein Mann mit einem ähnlichen Musikverständnis wie er selbst.
Als Giulia eines der frecheren Lieder des Paters vortrug, bedauerte Vincenzo es noch mehr, dem Mönch nie begegnet zu sein. Seine eigenen Texte waren noch um einiges gepfefferter, doch dafür war Franco Spalderi der weitaus bessere Komponist. Vincenzo wusste, dass er selbst ein eher mittelmäßiger Tonkünstler war. Sein Talent lag mehr darin, Texte für alte und neue Melodien zu schreiben. Er versuchte es bei einem von Pater Francos Liedern und entdeckte zu seiner Verblüffung, dass der Kastrat mit einer fast spielerischen Leichtigkeit die Melodie umändern und seinen Worten anpassen konnte.
Die beiden saßen fast den ganzen Tag über im Salon, beschrieben Blatt um Blatt und intonierten die Lieder. Als Vincenzo es mit einer unbedachten Äußerung bedauerte, seine Laute versetzt zu haben, da er seinen Freund Giulio gerne auf dem Instrument begleitet hätte, rief Giulia Beppo herein und forderte ihn auf, die Laute auszulösen. Sie reichte ihm ein paar Münzen, die sie sich im Lauf der letzten Monate zusammengespart hatte.
Vincenzo wand sich innerlich, weil er sich Giulio Casamonte damit noch mehr verpflichtete. Er sah jedoch keine andere Möglichkeit, ihm zu danken, als einige neue Liedtexte zu schreiben. Als er sah, wie dankbar der Kastrat ihm dafür war, fühlte er sich gleich besser.
Einige Zeit später kehrte Beppo mit Vincenzos Laute und dessen Degen zurück. Er lächelte etwas unsicher, als er die beiden Gegenstände auf den Tisch legte. »Der Geldverleiher wollte die Laute nicht alleine hergeben, sondern bestand darauf, dass auch das Schwert ausgelöst werden müsse.« Er erwähnte
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