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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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»He du! Kannst du mich verstehen?«
    Ein würgendes Gurgeln war die Antwort. Vincenzo erkannte, dass der andere am Erbrechen war, und drehte ihn so, dass er seinen Mageninhalt ausleeren konnte, ohne daran zu ersticken. Es dauerte eine geraume Zeit, bis der Mann damit fertig war. Vincenzo fragte ihn noch einmal, ob er ihn verstehen könne.
    Er erhielt ein jämmerlich klingendes »Ja« zur Antwort. »Kann ich dir helfen?«, fragte Vincenzo weiter. So wie der Mann am Boden lag, kam er so schnell nicht mehr auf die Beine. Er musste schwer betrunken den Weg gegangen und dabei gestürzt sein. Nächtliche Straßenräuber kamen nicht in Frage, da ihm diese seine Börse abgenommen hätten. »Wo soll ich dich hinbringen?«
    »In den Löwen«, lallte der Mann mit Mühe. Vincenzo wusste im ersten Augenblick nicht, was er damit meinte. Doch dann erinnerte er sich an eine Herberge gleichen Namens, die hier in der Nähe zu finden sein musste. Er zerrte den Mann, der wie ein nasser Sack in seinen Armen hing, auf die Füße und wuchtete ihn sich auf die Schulter. »Du könntest ruhig etwas leichter sein«, sagte er keuchend, als er sich auf den Weg machte. Jetzt spürte er die versäumten Mahlzeiten der letzten Tage doppelt. Ihm wurde schwindelig, und er musste sich an den Hausfas-saden festhalten. Irgendwie schaffte er es jedoch und klopfte schließlich an die verschlossene Hoftür der Herberge.
    Es dauerte ein wenig, bis ein Knecht in Erwartung später Gäste mit einer Laterne herauskam und mit weit aufgerissenen Augen auf Vincenzo und dessen Last starrte. »Ich habe diesen Signore unterwegs aufgelesen. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, logiert er in Eurer Herberge«, erklärte Vincenzo. »Das ist der ehrenwerte Herr Casamonte. Kommt herein. Ich rufe rasch seinen Sohn und seinen Diener herbei«, sprudelte der Knecht hervor und leuchtete Vincenzo den Weg. Dieser folgte ihm und war schließlich froh, den Betrunkenen auf dessen Bett abladen zu können.
    Im Licht der Kerze bemerkte er die Abschürfungen im Gesicht Casamontes. Die blau geschlagenen Augen und die aufgeplatzten Lippen konnten nicht allein von einem Sturz stammen. Der Mann sah aus, als wäre er vor kurzem fürchterlich verprügelt worden.
    Noch während Vincenzo ihn nach weiteren Verletzungen untersuchte, stürzten Beppo und Assumpta herein. »Heilige Madonna, was ist geschehen?«, rief die Dienerin erschrocken.Vincenzo zuckte mit den Schultern. »Ich habe den Mann unterwegs auf der Straße aufgelesen. Er scheint sich mit jemand angelegt zu haben, der stärker war als er.«
    Beppo schüttelte verwundert den Kopf. »Unser Herr ist ein ganz friedlicher Mensch. Aber wenn er einen in der Krone hatte, könnte es schon sein, dass er ein falsches Wort nicht hinnehmen wollte oder selbst etwas Unpassendes sagte.« Obwohl sich der Diener und die Frau eifrig um den Verletzten kümmerten, hatte Vincenzo nicht den Eindruck, als würden sie ihn bedauern.
    Als Beppo sich aufrichtete, sah er ganz zufrieden aus. »Das ist alles halb so schlimm. Er hat eine oder zwei Rippen gebrochen, ein paar Zähne verloren und sich gewiss eine Gehirnerschütterung zugezogen. Sieht aber nicht so aus, als würde er einen Arzt benötigen.«
    Assumpta packte ihren Mann, der sich schon herumdrehen und das Zimmer verlassen wollte, und fuhr ihn an. »Und ob er einen braucht! Sag dem Wirtsknecht Bescheid, dass er einen Doktor holt. Ich will nicht, dass der Herr uns vorwirft, wir hätten ihn nicht richtig versorgt.«
    Dann drehte sie sich zu Vincenzo um und knickste unbeholfen. »Ich danke Euch von ganzem Herzen, dass Ihr unseren Herrn hierher gebracht habt.«
    »Es war meine Menschenpflicht«, wehrte Vincenzo ab.
    Assumpta musterte ihn genauer und wies dann auf einige Schmutzflecken an seiner Schulter. »Ihr habt Euer Gewand beschmutzt. Gebt es mir, damit ich es säubern kann.«
    Vincenzo hob abwehrend die Hände. »Das ist nicht der Rede wert.«
    In dem Augenblick sah er einen jungen Mann in gediegener Kleidung eintreten, der besorgt auf das Bett sah und sich dann an die Dienerin wandte. »Was ist geschehen? Ich hörte, Vater sei verunglückt.«
    Die Stimme klang für einen Jüngling zu hell, und sie kam Vincenzo bekannt vor. Er starrte ihn an und durchforstete sein Gedächtnis. »Ihr seid Giulio Casamonte, der Kastrat. Wir sind uns in Mantua begegnet.«
    Der Kastrat hatte sich in den letzten Jahren wenig verändert. Er war vielleicht etwas voller um Brust und Hüften geworden, sein Gesicht war jedoch noch

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