Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
Vincenzo veranlasst hatten, seit drei Jahren mit den Casamontes zu reisen. Aber was es war, wusste er selbst nicht zu sagen. Vielleicht war es ganz einfach die Tatsache, dass ein erklecklicher Teil von den oft reichlich fließenden Gagen in seine Taschen wanderte.
    Er strich über sein gelbes Wams, in dessen Schlitzen das rote Seitenfutter angenehm knisterte, und sah mit Wohlgefallen auf die hautengen grünen Hosen aus bestem Stoff und die mit silbernen Schnallen besetzten roten Schuhe. Er genoss es, endlich einmal so auftreten zu können, wie es seiner Herkunft entsprach. Trotzdem verstand er sich selbst nicht mehr. Schon früher hatte sich ihm die Gelegenheit geboten, sich die Taschen zu füllen, indem er wohlhabende, junge Edelleute auf ihrer Kavalierstour durch Europa begleitete. Doch er hatte die diversen Angebote stets abgelehnt, weil es für einen de la Torre sehr unpassend gewesen wäre, für andere den Bärenführer zu spielen. Warum, fragte er sich nicht zum ersten Mal, tat er es jetzt ausgerechnet bei einem bürgerlichen Sänger, der zudem noch an entscheidender Stelle verstümmelt war?
    Vincenzo wusste auch nach drei Jahren keine Antwort darauf. Er und Giulio waren sich in all der Zeit nicht so nahe gekommen, dass man von inniger Freundschaft oder gar von Kameradschaft sprechen konnte. Ihre privaten Kontakte beschränkten sich auf oberflächliche Bemerkungen. Auf künstlerischem Gebiet arbeiteten sie jedoch überraschend gut zusammen. Etliche der Liedtexte, mit denen Giulio in letzter Zeit Furore gemacht hatte, stammten aus seiner Feder, und wenn der Kastrat im privaten Kreis sang, begleitete er ihn meist auf der Laute. So gesehen, hatte er seinen Teil der Gagen auf redliche Weise verdient.
    Doch trotz der oft engen Zusammenarbeit wusste er nicht zu sagen, was Giulio wirklich bewegte. Der Kastrat verhielt sich ihm gegenüber stets gleichmäßig freundlich, war jedoch immer noch so distanziert wie in den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft. Giulios Vater hingegen hatte ihn regelrecht in sein Herz geschlossen und behandelte ihn beinahe wie einen zweiten Sohn. Oft unterhielt er sich mit ihm und suchte seinen Rat, ganz besonders, wenn es um Kurtisanen oder Bordelle ging.
    Vincenzo war nicht verborgen geblieben, dass es mit dem Verhältnis zwischen Vater und Sohn Casamonte nicht zum Besten stand. Das Dienerpaar, mit dem er selbst ausgezeichnet auskam, stand auf Seiten des Sohnes und ließ sich deutlich anmerken, dass es dem Vater Giulios Verstümmelung ebenso übel nahm wie die Tatsache, dass Girolamo Casamonte von den Gagen seines Sohnes recht üppig lebte. Vincenzo maßte sich nicht an, den Mann zu verurteilen, und ließ sich nicht dazu verführen, Partei zu ergreifen. Plötzlich bewegte Giulio sich unruhig. Vincenzo sah, wie seine Lippen schmerzhaft zuckten und er in einer verzweifelten Geste die Fäuste ballte. Ähnliches hatte er schon früher einmal bei Belloni bemerkt. Doch im Gegensatz zu diesem trug Giulio den Verzicht, zu dem ihn seine Verstümmelung zwang, nicht offen auf der Zunge. Der junge Kastrat hatte ihn noch nie gefragt, wie es denn sei, mit einer Frau zu schlafen, während Belloni sich jede Kleinigkeit bis hin zur anatomischen Beschaffenheit eines Frauenspaltes hatte erklären lassen. Es war, als sei Giulio so früh beschnitten worden, dass ihm das Gefühl sexueller Begierde völlig fremd geblieben war.
    Wahrscheinlich war das sogar gut so, denn alle anderen Kas-traten, die Vincenzo kennen gelernt hatte, wurden von ihrem Wunsch nach körperlicher Erfüllung und dem Wissen, sie nie erlangen zu können, wie zwischen Mühlsteinen zerrieben. Giulio dagegen wirkte immer vollkommen beherrscht und kühl wie eine Marmorstatue. Nur manchmal blitzte ein trauriger Humor in seinen Worten auf, so als lache und weine er gleichzeitig über sein Schicksal. Er hatte es ja trotz seiner herrlichen Stimme nicht leicht, denn er war auf sein Leben als Kastratensänger nicht ausreichend vorbereitet worden. Das war Vincenzo ganz zu Beginn ihres Aufenthalts in Cremona während des großen Empfangs im Palazzo Lestoni aufgefallen.
    Giulio hatte sich völlig verausgabt, denn seine begeisterten Zuhörer hatten eine Zugabe nach der anderen gefordert. Zuletzt war er erschöpft zu ihm gekommen und hatte gebeten, von seinem Wein trinken zu dürfen, da er sehr durstig sei. Dabei hätte Giulio nur einen Diener zu sich winken und ein volles Glas von ihm fordern müssen. Vincenzo hatte es sofort getan. Er hatte Giulio dann auch in

Weitere Kostenlose Bücher