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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Nachtquartier war. Als der Knecht mit einem großen Tablett voller Leckerbissen zurückkam, hob sie die Hand. »Du kannst für Messer de la Torre ein Zimmer vorbereiten. Er bleibt heute Nacht hier.«
    »Nein, ich … ich …« Vincenzo wusste nicht, was er sagen sollte. Er wollte niemandem verpflichtet sein, am wenigsten einem Nichtmann. Am liebsten wäre er aufgesprungen und davongelaufen. Doch der Braten auf dem Teller duftete allzu verführerisch, und das weiße Brot schien direkt danach zu schreien, von ihm gegessen zu werden. Mit einem tiefen Seufzer überwand er seine Skrupel und zog sein Messer aus dem Gürtel, um die größte Scheibe damit aufzuspießen.

XIII .
    A ls Vincenzo am nächsten Morgen erwachte, war es bereits heller Tag. Einen Augenblick wunderte er sich, weshalb er in einem weichen Bett mit sauberen, weißen Linnen lag. Dann erinnerte er sich wieder an die Geschehnisse des Vorabends und schämte sich, weil er die Fürsorge eines Nichtmanns angenommen hatte. Schnell sprang er aus dem Bett, um sich anzuziehen und dann möglichst ungesehen zu verschwinden. Seine Kleider waren jedoch nirgends zu finden. Da erst fiel ihm ein, dass Casamontes Dienerin am Abend noch einmal in sein Zimmer gekommen war, um die Sachen zum Säubern mitzunehmen.
    So blieb ihm nichts anderes übrig, als liegen zu bleiben, bis sie mit seinen Hosen und dem Wams zurückkam. Während er schmollend auf dem Bett lag und gegen die sauber gekalkte Decke starrte, drang der Duft frischen Brotes in sein Zimmer, und er wusste, dass er den Löwen nicht ohne Frühstück verlassen konnte. Er ärgerte sich über seine Schwäche, wusste aber gleichzeitig, dass sich etwas in ihm auf das Zusammentreffen mit dem Sänger freute. So, wie Casamonte lebte und sich kleidete, musste er Erfolg gehabt haben. Vincenzo vergönnte es ihm und ertappte sich bei dem Wunsch, die Stimme des Kastraten noch einmal zu vernehmen. Sie war damals in Mantua schon ausgezeichnet gewesen, nur leider hatte der junge Sänger durch seine unzulängliche Technik viel von ihrer Wirkung verschenkt.
    Kurze Zeit später klopfte es an seiner Tür, und Assumpta kam herein. »Entschuldigt, Herr, dass es etwa gedauert hat. Doch ich habe die durchgewetzten Stellen Eurer Kleidung unterfüttert, damit Ihr sie noch ein wenig tragen könnt.«
    »Ich danke Euch.« Vincenzo wartete, bis die Dienerin sein Zimmer wieder verlassen hatte, und schlüpfte rasch in seine Hosen. Er war kaum damit fertig, da erschien der Wirtsknecht mit warmem Wasser, Seife und frischen Tüchern. Das war ein Genuss, den sich Vincenzo schon lange nicht mehr hatte leisten können. Er dankte dem Mann und bedauerte, ihm kein Trinkgeld geben zu können, doch der Knecht schien auch keines zu erwarten. Vincenzo wusch sich ausgiebig und betrat eine halbe Stunde später mit noch feuchten Haaren, aber bester Laune das Frühstückszimmer, in dem der Kastrat bereits auf ihn wartete.
    Während des ausgezeichneten Frühstücks tauschten sie nur ein paar Allgemeinplätze aus, die Vincenzo jedoch verrieten, dass Giulio Casamonte an einem tiefer gehenden Gespräch genauso interessiert war wie er. Als die Wirtsmagd den Tisch abgeräumt und jedem noch einen Krug mit Wasser vermischten Weins hingestellt hatte, konnte Vincenzo endlich Fragen nach Giulios künstlerischem Werdegang stellen. Im ersten Augenblick war er schmerzlich enttäuscht, dass der Kastrat seinem Rat, sich weiter ausbilden zu lassen, nicht in dem Maße nachgekommen war, wie es für seine Stimme notwendig gewesen wäre. Das sagte er ihm auch mit so deutlichen Worten, dass der junge Mann wie ein Mädchen errötete.
    Giulia merkte selbst, dass sie sich vor Vincenzo schämte, ließ aber seine harsche Bemerkung nicht unwidersprochen und sang ihm eines der Lieder vor, das Pater Franco für ihre Stimme umgeschrieben hatte.
    Vincenzo lauschte mit entrückter Miene und klatschte schließlich Beifall. »Ja, das meine ich! So müsst Ihr alle Lieder singen. Ihr habt eine Stimme, wie ich noch keine zweite hörte. Selbst der unvergleichliche Belloni kann Euch in dieser Hinsicht nicht das Wasser reichen. Aber er hat Stil, sage ich Euch. Da kommt derzeit kein anderer Kastrat mit.«
    Giulia nickte bedrückt. »Ich habe Belloni getroffen und ihm zugehört. Er ist wirklich unvergleichlich. Er gab mir übrigens denselben Rat wie Ihr, nämlich mich weiter ausbilden zu lassen.«
    »Und? Wollt Ihr es denn nicht tun?«
    Giulia hob mit einer bedauernden Geste die Hände. »Es kommt nicht auf

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