Die Kathedrale der Ketzerin
Blanka
verwundert. Sie schmiegte sich enger an ihren Mann und kniff ihn spielerisch in
ein Ohrläppchen.
»Er wird euch großen Schaden zufügen«, antwortete Ingeborg mit
eindringlich klirrender Stimme.
»Er liebt uns doch!«, rief Blanka entgeistert und wandte ihren
Kopf, um Zustimmung heischend, Ludwig zu.
Der nickte.
»Vor allem dich«, bemerkte er gelassen. Vorsichtig nahm er ihr das
gesamte Gebende vom Kopf, warf es auf die Truhe neben sich und strich Blanka
liebevoll über das nun frei fallende glänzend braune Haar, »und das allein darf
man weder ihm noch einem anderen übel nehmen. Wer auf dieser Welt könnte dich
nicht lieben?«
Ohne Scheu vor der Stiefmutter drückte er seine Gemahlin an sich und
herzte sie ausgiebig. In Ingeborgs mildem Lächeln spiegelte sich die Wehmut
nicht wider, die sie beim Anblick dieses sich so inniglich und unbefangen
liebenden Paares empfand.
Ach, könnte sich ihr Schicksalswissen doch bei diesen beiden
Menschenkindern einmal irren! Wie schön wäre es, wenn die Bilder sie diesmal
trögen! Wenn ihr Eingreifen das Schlimmste verhindern könnte!
Die schwache Hoffnung, dass Blanka, als Königin von Gottes Gnaden,
das Unheil, das sich deutlich vor Ingeborgs innerem Auge abzeichnete, womöglich
abwenden könnte, hatte sie zu dieser Warnung angeregt. Sie traute der
furchtlosen Blanka, die schon früh das Besondere an Ingeborg gespürt hatte,
Kräfte zu, die ihr zwar vertraut waren, aber über die sie selbst nie hatte
gebieten können. Kräfte, dem Übel die Stirn zu bieten und es abzubiegen.
Als Blanka vor vielen Jahren scheu nachgefragt hatte, ob König
Philipp sie am Tag nach der Hochzeit fortgeschickt hätte, weil er die Macht der
Seherin fürchtete, hatte Ingeborg nur den Kopf geschüttelt, war jedoch die
Antwort schuldig geblieben. Die wäre auch zu schmerzhaft gewesen.
Oder hätte sie Blanka sagen sollen: aus Angst vor der Liebe, einer
so überwältigenden Liebe, dass der König um seinen Verstand, seine Fähigkeit
zum Herrschen und somit um sein Land fürchtete? Aus Angst vor einer ähnlichen
Liebe wie jene, die dich und Ludwig verbindet und die ihr beide dennoch
ausleben dürft?
Ingeborg hatte den König in der Hochzeitsnacht auf eine Reise
mitgenommen, die er mit dem Wort Glückseligkeit nur unzureichend hätte
beschreiben können. Philipp August, der vor ihr so viele Frauen gekannt und
geglaubt hatte, alles über die Freuden der Liebe zu wissen, war in dieser Nacht
von einer nordischen Jungfrau bezwungen worden. Das Herz, das angesichts einer
nie zuvor geahnten Erfüllung in der Zweisamkeit der Kemenate jubiliert hatte,
war ihm unglückseligerweise auch während der Krönung und Salbung der schönen
Ingeborg an jenem Augusttag des Jahres 1193 in Reims übergelaufen. Sein
Begehren kannte keine Grenzen mehr. Es kostete ihn übermenschliche Anstrengung,
während des feierlichen Aktes nicht auf seine Gemahlin zuzustürzen, ihr die
Robe vom Leib zu reißen und sie vor aller Augen in Besitz zu nehmen.
Er hatte seinen Füßen befohlen, Wurzeln zu schlagen, doch dem
mächtigen Zittern seines widerspenstigen Leibes hatte er nichts
entgegenzusetzen gehabt. Diese zerstörerische Schwäche, diesen unverständlichen
Wahnsinn – denn als etwas anderes vermochte er es nicht zu erkennen – durfte
sich kein Monarch erlauben. Er musste sich die Zusehrgeliebte aus dem Herzen
und aus dem Leben reißen, und da fiel ihm nichts anderes ein, als sie in den
Turm des Klosters Saint-Maur-des-Fossés zu sperren – fernab von ihm und allen anderen
Männern der Welt. Nur so konnte er sich dem Bann jenes Weibes entziehen, das
ihn, den mächtigen König, zum schwächsten Geschöpf des Erdenreichs gemacht
hatte.
Mit einer Handbewegung verscheuchte Ingeborg jetzt, genau zwanzig
Jahre später, die Erinnerung an die einzige Liebe ihres Lebens. Wie erfreulich,
dass jetzt vor ihr zwei Königskinder saßen, die einander zärtlich zugetan waren
und durch keinerlei Skrupel und Befürchtungen daran gehindert wurden! Ein
kleines Lächeln stahl sich in ihre Mundwinkel, als sie bedachte, wie entsetzt
sich König Philipp über die offensichtliche Zuneigung der beiden einst gezeigt
hatte. Dabei wäre Ludwig um ein Haar mit einer anderen Frau, mit Blankas
Schwester Uraca vermählt worden.
So hatte es Blankas Großmutter Eleonore von Aquitanien ursprünglich
eingefädelt. Doch als die achtzigjährige Witwe zweier Könige im Winter des
Jahres 1200 im Rittersaal von Palencia ankündigte, Uraca solle
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