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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Sehnsucht ersetzt worden, von der Felizian und seine Leute
sprachen? Durch diese Sehnsucht, die nichts mit der Vergänglichkeit
körperlichen Verlangens hatte, die nicht auf einen Menschen ausgerichtet war?
Die von einer Heimat voller Seligkeit sprach, von einer unverbrüchlichen
Zugehörigkeit glücklicher Seelen?
    Nicht ganz, gestand sich Clara ein. Wäre Felizian zwei Köpfe
kleiner, bucklig, faltenalt oder so dick und übelriechend wie der königliche
Aufschneider, hätte sie nicht so gern an seiner Seite den Worten der
freundlichen Menschen gelauscht. Sie hatte ihn immer wieder verstohlen
angesehen, sich an seinen klaren braunen Augen, seiner aufrechten Haltung und
den Grübchen neben den Mundwinkeln erfreut. Und bemerkt, dass er mindestens
ebenso oft ihren Blick zu erhaschen suchte wie sie seinen.
    Ihr Leben lang hatte sie sich vor engen dunklen Verliesen
gefürchtet, doch an Felizians Seite war sie freudig die abbröckelnden
Steinstufen einer verlassenen, unfertigen kleinen Burg am Ufer der Seine
hinuntergestiegen, hatte sich durch eine schmale unregelmäßige Öffnung gezwängt
und den kleinen runden Keller betreten, in dem sich eine Gruppe guter Menschen
an jenem Abend getroffen hatte. Nur zwei winzige Lichte standen auf einem
Mauervorsprung, unter dem eiserne Ringe in
die Wand eingelassen waren. Wassertropfen drangen durch Spalten der steinernen
Wände, vereinigten sich zu kleinen Rinnsalen, die im groben unregelmäßigen
Mauerwerk zögerlich ihre Bahnen suchten und sich schließlich in kleine schwarze
Pfützen auf dem unebenen felsigen Boden verwandelten. Von irgendwoher kam ein
eisiger Lufthauch, der die Lichte und die überlebensgroßen Schatten an den
Wänden bewegte. Es gab weder einen Altar noch irgendeinen anderen Gegenstand,
schon gar keinen, der eine religiöse Bedeutung hätte haben können. Felizian
deutete nach oben. Clara kniff die Augen zusammen und glaubte, ein eisernes
Gitter zu erkennen, das von etwas Steinernem bedeckt war.
    »Anfangs haben wir uns durch das Angstloch da oben abgeseilt«,
erklärte er flüsternd. »Erst voriges Jahr haben wir den Durchbruch zum
Nebenkeller mit der Treppe geschaffen.«
    »Was ist das hier?«, fragte Clara.
    »Früher gab es hier nur Steine«, antwortete er, »hier wurden für den
Fall einer Belagerung Wurfgeschosse gesammelt und gehortet. Ein sehr sicherer
Ort; niemand wird uns hier aufspüren können.«
    Eine schwarz gekleidete ältere Frau blickte zu Felizian und seiner
seltsam hell gewandeten Begleiterin und räusperte sich vernehmlich. Nicht
vorwurfsvoll, sondern nur bittend. Zum Zeichen der Entschuldigung senkte
Felizian leicht das Haupt.
    Clara stand dicht neben ihm und musste sich zwingen, sich nicht an
ihn zu lehnen. Nicht, weil sie des Schutzes bedurfte oder überhaupt Angst
hatte, sondern weil sie, in diese fremde Welt gerückt, einen Widerhalt suchte.
Und die Wärme, die Felizian ausstrahlte.
    Nach dem letzten Gebet, in dem Gott angefleht wurde, der verlorenen
Seelen zu gedenken, nahm er ihre Hand ganz kurz in seine. Kalt und heiß
durchlief es sie, als er mit dem Zeigefinger der anderen Hand unendlich sacht
erst einen kleinen Kreis in ihre Handfläche malte, darin ein Kreuz setzte und
leise sagte: »Dies ist ein anderes Kreuzzeichen, Clara, das wahre Kreuz,
unser Katharerkreuz, wenn du so willst: Es symbolisiert Erde, Wasser, Luft
und Feuer. Nicht jenes Römerkreuz, an dem Jesus einen grausamen Tod erlitten
hat, das seine Feinde errichtet haben! Gott selbst muss dieses Kreuz hassen
und ablehnen, und jeder, der Gott liebt, kann es nur voller Abscheu betrachten,
denn es symbolisiert grausames Leid.«
    Was mit ihr geschehen war, konnte Clara nicht recht begreifen. Nur,
dass bei den Gebeten und in den Gesprächen mit den verfemten Häretikern in dem
feuchten Verlies nahe der Seine eine Saite in ihr zum Klingen gebracht worden
war, die von etwas Größerem sprach als von der verzweifelten Liebe zu einem
Mann, der ihr nie den Hof gemacht hatte.
    Endlich, da sich Verwirrung und ungesunde Gemütsbewegung gelegt
hatten, konnte sie sich eingestehen, jahrelang einer Illusion nachgejagt zu
haben, einer Liebe, die keine war. Der Graf von Champagne hatte nichts
Erhebendes in ihr entfacht, nur die Vorstellung eines Theobalds, den es, wie
seine vermeintlichen Gefühle auch – ausschließlich in ihrer Phantasie gegeben
hatte. Er hatte sie als Freundin bezeichnet und damit in ihr ein Erdbeben
ausgelöst. Was ihm völlig entgangen war. Er hatte das Wort durchaus

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