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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Mal
Erinnerungen an laue Frühlingstage ihrer Kindheit auf. Das Geißblatt im Mai
roch noch stärker als der Lavendel im Juli.
    »Nun, wo sind sie, deine Ritter?«, hakte Raimund ungeduldig nach.
    Sie würde der Frage nicht entkommen können. Beziehungsreich sah sie
vom Pferd auf ihren Bruder hinab und ließ ihr Schweigen für sich sprechen.
    Raimunds schönes dunkles Antlitz verdüsterte sich.
    »Das darf nicht wahr sein!«, brachte er ungläubig hervor. »Du hast
getarnten Kreuzrittern die Möglichkeit geboten, in Toulouse einzureiten?«
    Genau das hatte sie getan, und sie begann sich deswegen schuldig zu
fühlen. Aber über Freund und Feind hatte sie sich keine Gedanken gemacht, als
sie am Königshof nach männlichem Schutz für ihre Reise Ausschau gehalten hatte.
Sie hatte vor allem Blankas Sorge hervorrufen, die Kronprinzessin für die
vermeintliche Gleichgültigkeit ihr gegenüber strafen wollen. Zudem hatten die
dunklen und kalten Pariser Wintermonate wieder einmal Sehnsucht nach südlicher
Wärme und fröhlicher Leichtigkeit in ihr aufkommen lassen. In ihr, die in die
leuchtenden Farben des Südens hineingeboren war, hatte das graue Einerlei
jenseits des Cité-Palasts Schwermut aufkommen lassen. Das nach Fäulnis
riechende Wasser der Seine ekelte sie ebenso an wie der Regen, der den gesamten
März über unaufhörlich Kot, tote Ratten und faulenden Unrat durch die Gassen
der Stadt geschwemmt hatte. Selbst wenn südlich der Garonne keine liebende
Mutter ihrer harrte: Der Familiensitz in Toulouse war ihr als überaus erstrebenswertes
Ziel erschienen.
    Clara interessierte sich nicht für Politik und verstand nichts
davon. Sie wusste nur so viel, dass sich England standfest weigerte,
französisch zu werden, und sich irgendwelche Ketzer dem Papst widersetzten und
deshalb umgebracht werden sollten. Mit ihrem Leben, ihren Wünschen, ihrer
Sehnsucht und ihrer Zukunft hatte dies alles nichts zu tun.
    Hatte es aber doch, wie sie zu ihrem Entsetzen nach der Ankunft in
Toulouse feststellen musste. Kaum war sie mit ihren fünf Begleitern durch die
Tore der Stadt geritten, wendeten diese plötzlich ihre Mäntel und wiesen die
mit einem roten Kreuz auf der rechten Schulter bestickten Innenseiten vor. Mit
höflichem Hohn dankten sie der Grafentochter für den Schutz, den ihr Name ihnen
gewährt hatte, und sprengten in die Stadt davon.
    »Du hast unsere Feinde zu uns gebracht?«, hakte Raimund nach.
Seine sonst so klangvolle Stimme war schneidend scharf.
    »Wer anders hätte mich denn begleiten sollen?«, gab Clara spitz
zurück. »Unser Haus hat offensichtlich keine Freunde mehr im Norden. Auch
deshalb wollte ich zu meiner wirklichen Familie zurückkehren. Hätte ich mich
etwa ganz allein auf den Weg machen sollen?«
    »Du hättest gar nicht erst kommen dürfen.«
    »Das werde ich auch nie wieder tun!«, fauchte Clara. »Nie wieder
werdet ihr eure Augen auf mich richten, auf die Schwester, die Tochter, die wie
eine räudige Katze aus dem Haus ihrer Geburt gejagt wird! Ich wünschte mir
nicht einmal, ich wäre tot, denn ihr würdet mein Hinscheiden gewiss nicht
beklagen, sondern feiern!«
    Sie brach in Tränen aus.
    »Steig ab, Clara«, sagte Raimund leise. Sie schüttelte den Kopf und
schluchzte weiter: »Wo ich nicht gewünscht werde, mag ich nicht verbleiben.«
    Raimund sog die Luft tief ein, ohne der duftenden Lieblichkeit des
Geißblatts gewahr zu werden.
    »Das sollst du auch nicht. Ich
will nur von Angesicht zu Angesicht mit dir reden, Clara«, gab er tonlos zurück.
»Du hast offenbar weder die geringste Ahnung von diesem Krieg noch von den
Gefahren, in die du andere gebracht und dich selbst begeben hast.
Wahrscheinlich weißt du nicht einmal, dass ich letztes Jahr diese Stadt gemeinsam
mit allen Bewohnern sechs Wochen lang erbittert gegen die Kreuzfahrer verteidigt
habe.« Seine Stimme wurde lauter: »Kreuzfahrer! Hah! Sag mir doch: Wie
christlich sind denn Ritter, die Christenmenschen abschlachten?«
    Clara schüttelte abermals den Kopf. Mit dieser Frage konnte sie
überhaupt nichts anfangen.
    »Ketzer«, murmelte sie unsicher, an grauenerregende finstere
Gestalten denkend, die in Mondnächten dem Teufel huldigten und ihm jene kleinen
Kinder zum Opfer darbrachten, deren Blut sie zuvor getrunken hatten. Böse Menschen,
die mit der Macht des Kreuzes bekämpft werden mussten.
    »Wir sind keine Ketzer, Clara, wir lassen nur jeden, der hier
ehrlich leben und arbeiten will und keinen anderen stört, in Ruhe. Das nimmt
uns

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