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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Fliege brummte um ihren Kopf. Clara öffnete verwirrt
die Augen. Sie lag auf einem weichen Bett in einer winzigen Kammer. Durch die
Fensterluke stahl sich ein schmaler Sonnenstrahl und tauchte eine schwarz
gekleidete alte Frau in staubiges Licht.
    »Sei nicht traurig, Gott der Herr ist mit dir, mein Kind«, sagte
sie, strich Clara wie segnend über die Stirn und hob vorsichtig ihren Kopf an.
    »Du musst jetzt etwas trinken, warte, ich helfe dir beim Aufsetzen.
Langsam, langsam, du bist immer noch sehr geschwächt.«
    »Wo bin ich? Was ist
geschehen?«, krächzte Clara kaum verständlich, nachdem sie den an ihre Lippen
gereichten Becher geleert hatte. Sie blickte an sich hinab. Noch nie hatte sie
im Bett Kleidung getragen, schon gar kein dunkles Linnen. Warum sollte sie denn
trauern? Sie schlug nach der dicken schwarzen Schmeißfliege auf ihrer Brust.
Laut summend entfleuchte das Insekt.
    »Du bist in Sicherheit. In Marmande bei guten Menschen«, erwiderte
die Frau freundlich lächelnd. Behutsam half sie Clara in das Kissen zurück und
strich die Bettdecke glatt. Mit ihren gichtigen Fingern stülpte sie dann den
leeren Becher blitzschnell über die Fliege, die sich auf dem kleinen Tisch aus
dunklem grob gezimmertem Holz neben dem Bett niedergelassen hatte. Verwundert
beobachtete Clara, wie vorsichtig die alte Frau den Becher über den Rand des
Tischleins schob, auf ihre Handfläche setzte und dann zur schmalen Fensterluke
schritt, wo sie das eklige kleine Tier davonfliegen ließ.
    »Jetzt ist das Insekt hoffentlich in Sicherheit«, sagte die Frau.
»Wie du. Die Männer des Königs glaubten dich tot und haben dich in die Garonne
geworfen. Ganz in der Nähe fischten zwei unserer Credentes. Die haben dich aus
dem Wasser herausgezogen. Es ist ihnen gelungen, dich an der Belagerung vorbei
hierherzubringen. Eine gute Frau hat dich gepflegt. Und mich herbeigerufen, um
dir das Consolamentum zu spenden, wenn du es denn wünschst. Ich bin eine
Perfecta. Du siehst, ich trage das Johannes-Evangelium bei mir.«
    Sie deutete auf die schmale Schriftrolle, die an ihrem Gürtel
baumelte.
    Männer des Königs? Clara mühte sich, den Worten der Alten Sinn zu
entnehmen. Marmande, Credentes, Perfecta, Belagerung, Consolamentum – wie die
unschlagbare Fliege in der Kammer schwirrten ihr diese unbekannten Begriffe im
Kopf umher. Was war mit der Welt geschehen, die sie bislang gekannt hatte?
    »Wo sind meine Männer?«, fragte sie und setzte unsicher hinzu:
»Die des Grafen von Toulouse?«
    In den von vielen Fältchen umrahmten blassblauen Augen der Alten
erschien ein Leuchten.
    »Gott schütze unseren Retter, den edlen Grafen von Toulouse«, sagte
sie, ohne auf Claras Frage einzugehen. »Ohne ihn könnten wir die Lehre der
liebenden Gottheit nicht verbreiten und keine Seelen mehr für den Eintritt in
das Licht der himmlischen Sphäre vorbereiten.«
    »Mein Vater«, murmelte Clara, richtete sich mühsam wieder auf und
hob die Rechte, um sich zu bekreuzigen. Rasch griff die Alte nach ihrer Hand.
    »Lass ab vom Zeichen des Satans«, riet sie freundlich. Clara sah sie
verständnislos an, sank wieder in das Kissen zurück und schloss die Augen.
    Sie wusste immer noch nicht, was geschehen war, wer sie angegriffen
hatte, wie viel Zeit vergangen war, wo sie sich befand, was mit ihrem Gefolge
geschehen war und warum sie sich nicht bekreuzigen sollte. Und warum die alte
Frau das Leben einer Fliege gerettet hatte, eines Insekts, das vermutlich nur
dazu erschaffen worden war, um Menschen zu quälen. Doch jetzt umgaben sie Ruhe
und Frieden. Sobald sie zu Kräften gelangt war, würde sich schon alles aufklären.
Sie würde die vertraute Welt wiederfinden und sich dem nächsten Zug
anschließen, der nach Paris reiste.
    Schon am nächsten Tag erfuhr sie, dass an eine Reise nicht
zu denken war. Das Heer des Königs hatte Marmande umzingelt, und es war nur
eine Frage der Zeit, wann auch diese Stadt fiel. Dies also war der Krieg, von
dem sie nichts verstand, von dem Raimund gesprochen hatte und der irgendwie mit
dem Kreuzzug gegen die Häretiker zusammenhing, zu dem der Papst aufgerufen
hatte. Ein Krieg, der sie nie interessiert hatte und der ganz plötzlich sehr
viel mit ihr zu tun hatte. Wie nur war sie da hineingeraten?
    »Sie werden uns alle töten – wie damals in Béziers«, bemerkte die
junge Frau, die Clara versorgte, mit einer Gleichmut, als spräche sie über das
Wetter. Sie hob ein Kleinkind auf, das in die Kammer gekrabbelt war, und legte
es

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