Die Kathedrale des Meeres
Tränen in die Augen schossen. Dann begannen die drei zu lachen.
»Raus hier!«, rief die Sklavin, nachdem sie die Albernheiten der Kinder eine Zeit lang über sich hatte ergehen lassen.
Die drei liefen johlend und lachend aus der Küche.
»Pssst!«, ermahnte sie einer der Sklaven, der an der Treppe stand. »Der Herr will keine Kinder hier sehen.«
»Aber …«, begann Margarida.
»Da gibt es kein Aber«, erklärte der Sklave.
In diesem Moment kam Habiba die Treppe hinunter, um neuen Wein zu holen. Der Herr hatte sie mit zornfunkelnden Augen angeschaut, weil einer seiner Gäste sich nachschenken wollte und nur ein paar armselige Tropfen gekommen waren.
»Hab ein Auge auf die Kinder«, sagte Habiba zu dem Sklaven an der Treppe, als sie an ihm vorbeiging. »Ich brauche Wein!«, rief sie dann Estranya zu, noch bevor sie die Küche betrat.
Grau, der befürchtete, dass die Maurin den einfachen Wein brachte statt den, den sie servieren sollte, kam hinter ihr hergerannt.
Die Kinder lachten nicht mehr. Am Fuß der Treppe stehend, beobachteten sie das hektische Treiben, zu dem sich plötzlich auch Grau gesellte.
»Was habt ihr hier zu suchen?«, fuhr er sie an, als er sie bei dem Sklaven stehen sah. »Und du? Was stehst du hier herum? Geh und sag Habiba, dass es der Wein aus den alten Karaffen sein soll. Merk dir das! Wenn du dich irrst, ziehe ich dir bei lebendigem Leib das Fell über die Ohren. Und ihr, Kinder, ab ins Bett!«
Der Sklave rannte wie angestochen in die Küche. Die Kinder sahen sich grinsend an, ihre Augen funkelten vom Wein. Als Grau die Treppe wieder hochrannte, begannen sie zu lachen. Ins Bett? Margarida sah zur Haustür, die weit offen stand, zog die Lippen kraus und hob die Augenbrauen.
»Und die Kinder?«, fragte Habiba, als sie den Sklaven kommen sah.
»Wein aus den alten Krügen«, gab dieser weiter.
»Und die Kinder?«
»Aus den alten Krügen. Den alten.«
»Und die Kinder?«, fragte Habiba noch einmal.
»Der Herr hat gesagt, geht ins Bett. Sie sind bei ihm. Den aus den alten Krügen, ja? Er zieht uns das Fell über die Ohren …«
Es war Weihnachten, und Barcelona würde wie ausgestorben sein, bis die Leute zur Christmette strömten, um einen Hahn darzubringen. Der Mond spiegelte sich im Meer, so als würde die Straße, in der sie sich befanden, bis zum Horizont reichen. Die drei Kinder betrachteten den silbernen Streif auf dem Wasser.
»Heute wird niemand am Strand sein«, wisperte Margarida.
»Niemand fährt an Weihnachten aufs Meer hinaus«, setzte Guiamon hinzu.
Die beiden wandten sich zu Arnau um, der den Kopf schüttelte.
»Niemand wird es merken«, behauptete Margarida. »Wir gehen kurz hin und sind gleich wieder zurück. Es sind nur ein paar Schritte.«
»Feigling«, warf ihm Guiamon vor, als er zögerte.
Sie liefen bis Framenors, dem Franziskanerkonvent am östlichen Ende der Stadtmauer, direkt am Meer. Von dort blickten sie über den Strand, der sich bis zum Kloster Santa Clara am westlichen Ende von Barcelona erstreckte.
»He, seht doch!«, rief Guiamon. »Die Flotte der Stadt!«
»So habe ich den Strand noch nie gesehen«, erklärte Margarida.
Arnau nickte mit großen Augen.
Von Framenors bis Santa Clara war der Strand mit Schiffen in allen Größen übersät. Kein Gebäude stand diesem herrlichen Anblick im Wege. Vor etwa hundert Jahren hatte König Jaime der Eroberer verboten, den Strand zu bebauen. Dies hatte Grau seinen Kindern einmal erzählt, als sie ihn zusammen mit ihrem Lehrer zum Hafen begleiteten, um zuzusehen, wie ein Schiff be- oder entladen wurde, dessen Miteigner er war. Der Strand musste frei bleiben, damit die Seeleute ihre Schiffe an Land ziehen konnten. Aber keines der Kinder hatte Graus Erklärung die geringste Beachtung geschenkt. Es war doch selbstverständlich, dass die Schiffe am Strand lagen. Sie waren schon immer dort gewesen.
»In den Häfen unserer Feinde und Handelsrivalen«, hatte der Lehrer erklärt, »werden die Schiffe nicht auf den Strand gezogen.«
»Das stimmt«, hatte Grau bestätigt. »Genua, unsere Feindin, hat einen wunderbaren geschützten, natürlichen Hafen, sodass die Schiffe nicht an Land gezogen werden müssen. Venedig, unsere Verbündete, besitzt eine große Lagune, die man durch enge Kanäle erreicht. Sie ist vor Stürmen gefeit und die Schiffe können ruhig vor Anker gehen. Der Hafen von Pisa ist durch den Arno mit dem Meer verbunden, und auch Marseille nennt einen natürlichen Hafen sein Eigen, geschützt vor
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