Die Kathedrale des Meeres
gewesen, die sie nun läuteten. Da war die Assumpta, die größte der vier, dann die Conventual, La Andrea und La Vedada, die kleinste ganz oben im Turm.
Am heutigen Tage wurde Santa María geweiht, seine Kirche, und die Glocken schienen anders zu klingen als sonst. Oder hörten sie sich nur für ihn anders an? Er blickte zu den Oktogonaltürmen hoch, welche die Fassade zu beiden Seiten flankierten. Es waren schlanke, luftige Türme, deren drei Freigeschosse sich nach oben hin verjüngten. Jedes Geschoss war ringsum mit Spitzbogenfenstern, Gesimsen und einer Brüstung versehen. Als sie noch im Bau waren, hatte Arnau gehört, dass sie einfach und schlicht werden sollten, ohne Turmspitzen und Turmhelme, natürlich wie das Meer, dessen Schutzpatronin sie bewachten, und doch eindrucksvoll und stolz, genau wie das Meer.
Die Menschen strömten in Festtagskleidung herbei. Manche betraten gleich die Kirche, andere, wie Arnau, blieben draußen stehen, um ihre Schönheit zu bewundern und dem Geläut der Glocken zu lauschen. Arnau drückte Mar an sich. Er hatte den rechten Arm um sie gelegt. Zu seiner Linken stand, genauso staunend wie sein Vater, ein dreizehnjähriger Knabe mit einem Muttermal über dem rechten Auge.
Während die Glocken immer noch läuteten, betrat Arnau mit seiner Familie Santa María del Mar. Die Leute, die mit ihnen hineingingen, blieben stehen und ließen ihn vor. Dies war Arnau Estanyols Kirche. Als Bastaix hatte er auf seinem Rücken die ersten Steine herbeigeschleppt; als Geldwechsler und Seekonsul und später als Händler für Seeversicherungen hatte er sie mit bedeutenden Stiftungen bedacht. Aber Santa María hatte auch Katastrophen erlebt. Am 28. Februar 1373 hatte ein Erdbeben den Glockenturm zum Einsturz gebracht. Arnau war der Erste gewesen, der Geld für seinen Wiederaufbau gab.
»Ich brauche Geld«, hatte er damals zu Guillem gesagt.
»Es gehört dir«, antwortete der Maure, der von dem Unglück wusste und auch, dass Arnau an diesem Morgen Besuch von einem Mitglied des Baurates erhalten hatte.
Das Glück war ihnen wieder hold. Auf Guillems Ratschlag war Arnau in den Handel mit Seeversicherungen eingestiegen. Katalonien, wo es anders als in Genua, Venedig oder Pisa keine Schadensregulierungen gab, war ein Paradies für die Ersten, die sich in diesem Geschäft betätigten. Doch nur umsichtigen Unternehmern wie Arnau und Guillem gelang das Überleben. Das Finanzsystem im Prinzipat war im Untergang begriffen und mit ihm die Leute, die schnelle Geschäfte machen wollten, indem sie eine Ladung über Wert versicherten, um dann nie wieder von ihr zu hören. Andere versicherten Schiffe und Waren, nachdem bereits bekannt geworden war, dass Piraten das Schiff gekapert hatten, weil sie darauf hofften, dass es sich um eine Falschmeldung handelte. Arnau und Guillem hingegen wählten die Schiffe gut aus und kalkulierten das Risiko sehr genau, und schon bald konnten sie bei dem neuen Geschäft auf das weitgespannte Netz von Vertretern zurückgreifen, mit dem sie bereits als Geldwechsler zusammengearbeitet hatten.
Am 26. Dezember 1379 hatte Arnau Guillem nicht mehr fragen können, ob er mit einer weiteren Stiftung an die Kirche einverstanden sei, denn der Maure war ein Jahr zuvor überraschend gestorben. Als Arnau ihn fand, hatte er tot in seinem stets nach Mekka ausgerichteten Lehnstuhl im Garten gesessen, wo er, wie alle wussten, heimlich seine Gebete verrichtete. Arnau hatte mit den Mitgliedern der maurischen Gemeinde gesprochen und diese hatten in der Nacht Guillems Leichnam abgeholt.
In jener Nacht des 26. Dezembers 1379 war Santa María durch einen schrecklichen Brand verwüstet worden. Das Feuer vernichtete die Sakristei, den Chor, die Orgel, die Altäre und überhaupt alles im Inneren der Kirche, was nicht aus Stein war. Doch auch der Stein wurde durch den Brand in Mitleidenschaft gezogen, insbesondere der Dekor, und der Schlussstein mit der Darstellung König Alfons' des Gütigen, Vater des aktuellen Königs, der diesen Bauabschnitt bezahlt hatte, wurde vollständig zerstört.
Der König tobte, als er davon hörte, und forderte die Wiederherstellung des Steins. Doch die Bewohner des Ribera-Viertels hatten genug damit zu tun, das Geld für einen neuen Schlussstein zusammenzubekommen, und konnten nicht auch noch auf die Wünsche des Königs Rücksicht nehmen. Die ganze Mühe und das Geld des Volkes flossen in die Sakristei, den Chor, die Orgel und die Altäre; das Reiterabbild König Alfons'
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