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Die Kathedrale des Meeres

Titel: Die Kathedrale des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falcones Ildefonso
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nur einer. Es kam immer ein Moment, in dem das Tier scheute.
    Genis Puig saß nun auf dem Pferd.
    Der Stallbursche sah in das Gesicht des Knaben. Panische Angst stand darin geschrieben. Dieser Junge hatte eine Höllenangst vor Pferden und klammerte sich fest. Es kam immer ein Moment, in dem ein Pferd scheute.
    Jesús schnalzte mit der Peitsche, damit das Pferd in Galopp fiel. Das Tier warf den Kopf zurück und zog an dem Seil.
    Über Tomás' Gesicht huschte ein Lächeln, das sofort wieder verschwand, als sich das Seil löste und das Pferd plötzlich frei war. Es war nicht schwer gewesen, sich in die Sattelkammer zu schleichen und das Leder des Zaumzeugs so anzuschneiden, das es nur noch lose zusammenhielt.
    Isabel und Margarida schrien entsetzt auf. Jesús ließ die Peitsche fallen und versuchte, das Pferd aufzuhalten, doch vergeblich.
    Als Genis sah, dass sich das Seil gelöst hatte, begann er zu kreischen und klammerte sich an den Hals des Pferdes. Er presste seine Füße gegen die Flanken des Tieres, welches daraufhin durchging und im gestreckten Galopp auf die Stadttore zurannte, während Genis auf seinem Rücken hin und her geschleudert wurde. Als das Pferd einen kleinen Hügel übersprang, flog der Junge durch die Luft, überschlug sich mehrmals und landete kopfüber in einer Hecke.
    Bernat, der in den Stallungen war, hörte zuerst die Hufe der Pferde im gepflasterten Patio und dann die Schreie der Baronin. Statt ruhig und im Schritt in den Hof zu kommen wie sonst, stampften die Pferde heftig auf. Als Bernat zum Stalltor ging, kam Tomás gerade mit dem Pferd hinein. Das Tier war unruhig, es war mit Schweiß bedeckt und schnaubte heftig.
    »Was ist los?«, fragte Bernat.
    »Die Baronin will deinen Sohn sprechen«, schrie Tomás, während er auf das Pferd einhieb.
    Vor den Stallungen war immer noch das Zetern der Frau zu hören. Bernat betrachtete erneut das arme Tier, das unruhig auf den Boden stampfte.
    »Die Herrin will dich sprechen!«, brüllte Tomás noch einmal, als Arnau aus der Sattelkammer kam.
    Arnau blickte zu seinem Vater. Der zuckte mit den Schultern.
    Sie gingen in den Patio. Die Baronin fuchtelte wütend mit der Reitgerte herum, die sie immer bei sich hatte, wenn sie ausritt, und brüllte Jesús, den Hauslehrer und die Sklaven an, die alle zusammengelaufen waren. Margarida und Josep standen hinter ihr. Und daneben Genis, mit blauen Flecken übersät, blutend und mit zerrissenen Kleidern. Als Arnau und Bernat erschienen, ging die Baronin ein paar Schritte auf den Jungen zu und zog ihm die Reitgerte durchs Gesicht. Arnau hielt sich die Wange. Bernat wollte eingreifen, doch Jesús ging dazwischen.
    »Sieh dir das an«, brüllte der Stallmeister und reichte Bernat das Seil und das zerrissene Zaumzeug. »Das ist das Werk deines Sohnes!«
    Bernat nahm die Gegenstände und untersuchte sie. Auch Arnau, der sich immer noch die Wange hielt, sah sich das Zaumzeug an. Er hatte es tags zuvor überprüft. Er blickte zu seinem Vater auf, und der sah zur Stalltür herüber, von wo aus Tomás die Szene beobachtete.
    »Es war in Ordnung«, schrie Arnau. Er nahm das Zaumzeug und das Seil und hielt es Jesús unter die Nase. Er sah erneut zur Stalltür hinüber. »Es war in Ordnung«, beteuerte er noch einmal, während die ersten Tränen in seinen Augen aufblitzten.
    »Sieh nur, wie er weint«, war plötzlich eine Stimme zu vernehmen. Es war Margarida, die mit dem Finger auf Arnau zeigte. »Er ist schuld an deinem Unfall und weint«, sagte sie dann, an ihren Bruder Genis gewandt. »Du hast nicht geweint, als du durch seine Schuld vom Pferd gefallen bist«, log sie.
    Josep und Genis zögerten kurz, doch dann machten sie sich über Arnau lustig.
    »Heulsuse«, sagte der eine.
    »Ja, Heulsuse«, wiederholte der andere.
    Arnau sah, wie sie mit dem Finger auf ihn zeigten und über ihn lachten. Er konnte einfach nicht aufhören zu weinen! Die Tränen rollten ihm über die Wangen und sein Brustkorb verkrampfte sich vor lauter Schluchzen. Er stand da wie angewurzelt, streckte die Hände aus und zeigte noch einmal allen das Zaumzeug und den Strick, auch den Sklaven.
    »Anstatt zu heulen, solltest du lieber um Verzeihung für deine Unachtsamkeit bitten«, fuhr ihn die Baronin an, nachdem sie ihren Stiefkindern ein überhebliches Lächeln zugeworfen hatte.
    Um Verzeihung bitten? Arnau sah seinen Vater an. Die Frage war ihm ins Gesicht geschrieben. Bernat starrte die Baronin an. Margarida zeigte immer noch mit dem Finger auf ihn

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