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Die Katze die Brahms spielte

Die Katze die Brahms spielte

Titel: Die Katze die Brahms spielte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Jackson Braun
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ein Truthahnsandwich und eine Tasse Kaffee. Den Katzen schnitt er auch etwas Truthahnfleisch klein. Yum Yum verschlang ihren Teil, doch Koko war – überraschenderweise – nicht im geringsten daran interessiert. Die Launen einer Siamkatze waren einfach nicht vorherzusagen, zu verstehen oder zu erklären.
    In Tante Fannys Safe befanden sich vier Schriftstücke. Drei davon waren mit rotem Siegellack verschlossene Kurverts, auf denen in ihrer unverkennbaren Handschrift Testament geschrieben stand. Diese Kuverts sowie einige mit Samt ausgelegte Schmuckkassetten übergab Qwilleran an Goodwinter und Goodwinter zur Aufbewahrung im Safe der Anwaltskanzlei. Das vierte Schriftstück war ein kleines, in grünes Leder gebundenes Adreßbuch, das er in seine Tasche steckte.
Nick und Lori waren eine Stunde vor Beginn des Gedenkgottesdienstes im Steinhaus eingetroffen, so daß Nick genug Zeit hatte, den Safe zu knacken, und Rosemary unterdessen Lori die prächtigen Räume mit den Stilmöbeln zeigen konnte. Danach ließen sie Koko und Yum Yum auf dem Kühlschrank zurück und schlossen sich der Menge in der High-School von Pickax an.
Alle waren da. Qwilleran sah Roger, Sharon und Mildred, den gerissenen Kapitän, der unechte Antiquitäten verkaufte, Old Sam, Dr. Melinda Goodwinter (in einem Kostüm, das genauso meergrün war wie ihre Augen), die beiden Jungen von der Minnie K alias Seagull, den Museumsdirektor, den Mechaniker der Autowerkstatt von Mooseville – alle. Der ausgemergelte Koch der Dimsdale-Bude kam auf dem Soziussitz eines Motorrades, dessen Fahrer ein stämmiger Mann mit einem großen Diamantring und einer Lederjacke mit abgeschnittenen Ärmeln war. Tom war auch da; er saß zusammengekauert auf der hintersten Bank. Selbst die Besitzer des FOO und ihr verhuschter Koch waren gekommen.
Der Chefredakteur des Pickax Picayune stand auf den Eingangsstufen und notierte sich wichtige Gäste.
»Junior, Sie haben sich selbst übertroffen!« sagte Qwilleran als Begrüßung. »Vierundsiebzig Worte in einem einzigen Satz! Das muß ein Rekord sein. Welches Genie schreibt denn Ihre Nachrufe?«
Der junge Redakteur tat die Frage mit einem Lachen ab. »Ich weiß, es ist verrückt, aber so werden sie nun mal seit 1859 geschrieben, und so mögen sie unsere Leser. Ein blumiger Nachruf ist für die Familien hier ein Statussymbol. Ich habe Ihnen ja gesagt, wir machen die Dinge hier auf unsere Weise.«
»Das war doch nicht ernst gemeint, hoffe ich, daß Fannys Nachruf gerahmt werden kann?«
»Aber sicher. Viele Leute hier sammeln Nachrufe als eine Art Hobby. Eine alte Dame hat ein Album mit über fünfhundert Stück. Es gibt auch einen Nachrufklub, der jeden Monat ein Rundschreiben herausgibt.«
Qwilleran schüttelte den Kopf. »Ich hätte noch eine Frage, Junior. Wie hält sich das Dimsdale-Restaurant bloß über Wasser? Das Essen ist ein Verbrechen, und ich sehe niemals Gäste dort.«
»Haben Sie die Leute, die zum Kaffee kommen, noch nicht gesehen? Um sieben Uhr früh und um elf ist der Parkplatz voller Pick-ups. Da hole ich mir meine Informationen.«
In diesem Augenblick traf die Delegation des FOO ein, und Qwilleran ergriff die Chance, mit Merle zu sprechen, der ihm bisher immer entwischt war. Er war ein Koloß – groß, fett und furchterregend; ein Auge war halb geschlossen, das andere schief.
»Entschuldigen Sie, Sir«, sagte Qwilleren. »Sind Sie der Besitzer des FOO-Restaurants?«
Seine Frau, das massige Weib, das über die Registrierkasse herrschte, sagte: »Er redet nich' mehr. Hatte 'nen Unfall in der Fabrik.« Sie machte eine Geste, als würde sie sich die Kehle durchschneiden. »Und jetzt redet er nich' mehr.«
Qwilleran erholte sich rasch. »Verzeihung. Ich wollte Ihnen nur sagen, Merle, wie begeistert ich von Ihrem Restaurant bin, besonders von den Pasteten. Mein Kompliment an den Koch. Machen Sie so weiter.«
Merle nickte und versuchte zu lächeln, was ihn aber nur noch bedrohlicher aussehen ließ.
Während die Prediger und die Politiker Fanny Klingenschoen in den glühendsten Tönen ihre Ehrerbietung zollten, tastete Qwilleran das kleine grüne Büchlein in seiner Tasche ab. Es hatte ein alphabetisches Register und war mit Namen vollgeschrieben, doch statt der Adressen waren typische Kleinstadtvergehen angeführt: Ladendiebstahl, Ausstellen ungedeckter Schecks, Untreue, Gaunereien, Amtsmißbrauch, moralische Verfehlungen, Unterschlagung. Es war nichts dokumentiert, doch Fanny schien Bescheid zu wissen. Vielleicht war auch

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