Die Katze
nicht auf. Franny, hörst du mich? Mach nicht auf.«
»Warum nicht?«
Charley atmete tief durch. Vielleicht war es Bram. Oder die Polizei. »Okay, Schätzchen, pass auf. Ich möchte, dass du zum Fenster gehst und nachguckst, wer es ist. Kannst du das?«
»Okay.«
Charley hörte, wie ihre Tochter den Hörer ablegte, und sah vor ihrem inneren Auge, wie das Kind zum großen Vorderfenster des Hotelzimmers ging und durch die Gardinen spähte. In der nächsten Sekunde war Franny wieder am Apparat. »Alles in Ordnung, Mommy«, sagte sie mit einem hörbaren Lächeln in der Stimme. »Es ist Alex.«
»Was?! Nein! Lass ihn nicht rein! Franny? Franny?«
Aber Franny war schon auf dem Weg zur Tür. »Hi, Alex«, hörte Charley ihre Tochter sagen.
Danach herrschte Stille.
Das Blut in Charleys Adern gefror. Sie wandte sich Glen zu, dessen normalerweise gesunde Gesichtsfarbe ein kränkliches Beige angenommen hatte. »Er hat Franny«, sagte sie.
»Okay, hören Sie, das ist kein Spinner-Anruf«, brüllte Glen nur Augenblicke später in sein Handy, als er die State Police erreicht hatte. »Der Mann heißt Alex Prescott und hat ein kleines Mädchen namens Franny Webb gekidnappt. Sie ist acht Jahre alt.«
Charley riss Glen das Telefon aus der Hand und gab dem Beamten eine detaillierte Beschreibung ihrer Tochter und ihres Sohnes. »Alex ist wahrscheinlich auf dem Weg nach Disney World«, erklärte sie schluchzend. »Bitte halten Sie ihn auf, bevor er meinen Kindern etwas antun kann.«
Der Beamte versicherte ihr sein Mitgefühl und bat sie, die Geschichte für seinen Vorgesetzten noch mal zu wiederholen. Also schilderte Charley die ganze schreckliche Geschichte noch einmal. Wie oft hatte sie in der letzten Stunde das Gleiche gesagt? Wie vielen Menschen? Warum wollte die Polizei ihr nur so zögerlich glauben? »Was, wenn es schon zu spät ist?«, fragte sie, als sie wieder auf Warten gestellt wurde.
»Bestimmt nicht«, sagte Glen, klang jedoch alles andere als überzeugt.
»Ich könnte es nicht ertragen, wenn er ihnen irgendwas antut.«
»Versuchen Sie, nicht so zu denken, Charley.«
»Sie haben das Video nicht gesehen«, schrie Charley. »Sie haben nicht gesehen, was für schreckliche Dinge er getan hat.« Sie blickte auf die Handtasche in ihrem Schoß und hatte das Gefühl, die Kassette würde ein Loch in das Futter brennen wie
Säure in Fleisch. »Ja, ich bin noch da«, sagte sie dann plötzlich wieder in den Hörer. »Was für ein Auto fährt Alex?«, wiederholte sie die ihr gestellte Frage laut. Sie beschrieb das alte, senffarbene Malibu-Cabriolet, so detailliert sie konnte. »Es ist fast zehn Jahre alt. Nein, tut mir leid, das Kennzeichen weiß ich nicht. Aber wie viele solcher Autos kann es denn geben?« Sie begann, heftig zu zittern, und Glen nahm ihr das Telefon ab und sprach leise mit dem Beamten am anderen Ende.
»Sie geben einen Amber Alert aus«, erklärte er ihr kurz darauf. »Das ist ein Fahndungsaufruf für vermisste Kinder, der überall verbreitet wird.«
»Gott sei Dank.«
»Und sie schicken einen Krankenwagen zum Motel. Dort treffen wir uns.«
Charley wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab und versuchte, sich gerader aufzurichten. »Wie lange brauchen wir noch bis dorthin?«
»Etwa eine halbe Stunde.«
»Ich war so ein Idiot.«
»Nur weil man Sie reingelegt hat, sind Sie noch kein Idiot«, widersprach Glen und fasste ihre Hand. »Wir kriegen ihn, Charley, das verspreche ich Ihnen. Wir kriegen ihn.«
»Bevor er meinen Kindern was tut?«
Glen drückte sanft ihre Hand, sagte jedoch nichts.
Fünfundzwanzig Minuten später bogen sie auf den Parkplatz des Beautiful Dreamer’s Motels, wo bereits vier Streifenwagen und ein Krankenwagen standen. Mit Puddingknien stolperte Charley zum Eingang des Hotels, wo sie um ein Haar mit einem älteren Ehepaar kollidiert wäre, das in der Nähe der Tür stand. »Wo finde ich die Polizei?«, fragte sie den jungen Mann an der Rezeption in der kunstvoll weiß und golden dekorierten Lobby. »Welches Zimmer?«
»Sie sind...?« Er nahm einen Telefonhörer ans Ohr. Charley
registrierte die feinen Sommersprossen auf seiner Nase und die kleinen braunen Augen hinter einer rechteckigen Designer-Brille.
Sie brüllte ihren Namen förmlich, sodass der junge Mann unwillkürlich einen Schritt zurück machte und die rechte Hand hob. »Zimmer 221, zweite Etage, rechts. Sie gehen einfach um den Pool im Innenhof und...«
Aber Charley hörte ihm schon nicht mehr zu.
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