Die Kaufmannstochter von Lübeck
dazwischen, und die anderen stimmten ihm knurrend zu.
Magnus war allerdings nicht darunter. Er hielt sich nun vollkommen zurück und sagte kein einziges Wort. Seine Stunde würde noch kommen! Zumindest hatte er sich das vorgenommen.
»Wir haben hier und jetzt nur darüber zu entscheiden, mit welcher Botschaft wir den Emissär zurück in Waldemars Reich schicken«, erklärte Moritz nun, und obwohl er diesmal weder die Stimme hob noch besonders laut sprach, fand er Gehör bei den Schonenfahrern. »Aber für die Zukunft wollen wir darauf hinwirken, dass dieser unerträgliche Zustand nicht einen Tag länger anhält als unbedingt notwendig!«
Als Moritz von Dören sehr spät in der Nacht von der Versammlung der Schonenfahrer nach Hause kam, fand er Johanna in der Eingangshalle. Im Kamin brannte Feuer. Es war später August, und in diesem Jahr schien der Sommer ungewöhnlich früh sein Ende zu finden. In den letzten Nächten war es schon empfindlich kalt geworden, und ein unangenehm scharfer Wind wehte von Nordwesten über die Stadt und zwischen den engen Gassen hindurch.
Johanna las in einem handgeschriebenen Gebetbuch, einer Sammlung, die von Bruder Emmerhart zusammengestellt und aufgeschrieben worden war. Sie enthielt einige Psalmen, Gebete und Liedtexte, deren ursprüngliche Quellen wohl höchst unterschiedlich waren. Aber Johanna hatte darin immer viel Trost gefunden. Bruder Emmerhart verkaufte solche handgeschriebenen Bände mit nicht mehr als jeweils vierzig bis fünfzig Seiten aus gelbbraunem Pergament neben seinen Arzneien und Heilmitteln in seiner Apotheke. Zwischen übelriechenden Tinkturen, Marzipan, Zucker und einigen Gewürzen hatte auch dieses sorgfältig in Leder gebundene Bändchen seinen Platz gehabt. Erbauung für die Seele, den Geist und den Körper, das alles diente der Gesundheit, so hatte der geschäftstüchtige Mönch ihr erklärt und es daher auch als völlig selbstverständlich angesehen, diese Dinge zusammen anzubieten. »Die Heilmittel für die Reichen finanzieren diejenigen für die Armen«, hatte Johanna Bruder Emmerharts Worte noch im Ohr. »Ihr braucht also kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn Ihr so ein Buch kauft, denn für eine einzige Abschrift dieser Gebete und Psalmen verlange ich einen Preis, von dem ich Wundsalben für ganz Lübeck und jeden Bauern in Holstein und Lauenburg mischen könnte!«
Johanna musste gerade jetzt daran denken, da sich immer mehr herauskristallisierte, dass sich ihr Ordenseintritt länger verzögern würde, als sie gedacht hatte. Der Hansetag war für den Herbst in Köln angesetzt. Gesandte aus allen Hansestädten und dem mit der Hanse verbündeten deutschen Orden würden dort erscheinen. Johanna wusste natürlich, wie wichtig es für ihren Vater war, dass sie ihn begleitete und unterstützte – gerade jetzt, da es um so viel ging. Und danach, dachte sie. Wird es sich danach ändern?
»Du bist noch auf?«, fragte Moritz von Dören seine Tochter.
»Ich finde keinen Schlaf, Vater.«
»Und was raubt ihn dir, Johanna?«
»Meine Gedanken kreisen immer wieder um dieselbe Frage. Kann man ein Versprechen, das man dem Herrn gegeben hat, so einfach brechen?«
»Du brichst dein Versprechen nicht, wenn du es im nächsten Jahr erfüllst, Johanna.«
»Meinst du wirklich?«
»Ich bin kein Priester und bin ganz sicher auch nicht gelehrt genug, um dir solche Fragen erschöpfend beantworten zu können. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass unser Vater im Himmel in dieser Hinsicht derart kleinmütig ist, dass er es dir nicht verzeihen könnte.«
»Wenn du das sagst, beruhigt mich das«, antwortete Johanna.
»Ich weiß das Geschenk, das dein Leben für mich ist, sehr wohl zu würdigen und danke Gott jeden Tag dafür, dass er dich die Pestilenz hat besiegen lassen. Aber ich glaube nicht, dass Gott dafür verlangt, dass du ihm sein Leben widmest.«
»Aber …«
»Das, meine Tochter, verlangt er nur von denen, die dazu die Berufung spüren, und ob das bei dir der Fall ist, kannst nur du allein wissen. Niemand sonst.«
V iertes K apitel
Eine schicksalhafte Begegnung
Zu Köln – Monate später …
Die Hammerschläge der Steinmetze mischten sich mit dem Gemurmel der Betenden. Seit mehr als einem Jahrhundert wurde schon am Dom zu Köln gearbeitet. Eigentlich hatten die neu errichteten Teile dieses bereits in seiner noch unvollendeten Gestalt gewaltigen Gotteshauses nach und nach den alten Dom ersetzen sollen, der für den Ansturm der Pilger einfach nicht
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