Die Keltennadel
Cinemascope-Bilder. Während der Nacht hatte es geregnet, und die Straße glitzerte wie ein blaues Satinband, als Lavelle über Nebenstraßen nach Kilbride fuhr.
Die Gerüche und die Berührung von Janes Körper hafteten noch an ihm, er schmeckte und spürte noch ihre Lippen. Aber alle Erinnerungen an ihren Liebesakt wurden überstrahlt von einem Gefühl der Hochstimmung, der Freude sogar.
Was zwischen ihm und Jane vorgefallen war, hatte tief reichende Auswirkungen, und er wusste nicht genau, wie er diese mit seiner Berufung in Einklang bringen konnte. Hatte er damals bei Paula viel Gewissenserforschung betrieben? Nicht dass er sich erinnern konnte. Vielleicht, weil sich ihre Beziehung entwickelt hatte, ohne dass er es recht bemerkte. Was war also diesmal anders? Die Chemie, die vom ersten Tag an zwischen ihm und Jane gestimmt hatte? Das Band, das ihre gemeinsame Erfahrung schuf? Er war sich sicher, dass er Paula geliebt hatte, aber auf andere Weise.
Er kam an eine Kreuzung und wartete auf eine Lücke in der morgendlichen Fahrzeugschlange, die Kilbride verließ. Pendler auf dem Weg nach Dublin. Ehemänner und -frauen. Eltern. Angestellte, Fabrikarbeiter, Verkäufer, die alle ihren Beschäftigungen nachgingen. Das richtige Leben.
Er bog auf die Hauptstraße, seine gehobene Stimmung war inzwischen ein wenig verflogen. Immerhin war er mit Leib und Seele Priester, oder etwa nicht? Katholischer Priester. Und Jane war Protestantin. Ihre Anschauungen und Werte waren über Generationen geprägt worden. Eine Kombination, die nicht gut gehen konnte, ein sicheres Rezept für Unglück, fast schon klischeehaft zum Scheitern verurteilt. Was hatte er sich eigentlich dabei gedacht?
Als er in Kilbride ankam, hob sich der Steilturm von St. Brigid als Silhouette vor einem mittlerweile golden und zinnoberrot glühenden Sonnenaufgang ab. Er hatte verschlafen und war in aller Eile von Jane aufgebrochen. Jetzt blieben ihm nur zwanzig Minuten, um zu duschen und vielleicht noch eine Tasse Kaffee zu erwischen, bevor er zur Acht-Uhr-Messe m die Kirche musste.
Als er in der Einfahrt aus seinem Wagen stieg, bemerkte er, dass alle Vorhänge auf der Straßenseite des Hauses zugezogen waren. Er konnte sich nicht erinnern, dass er sie zugezogen hatte, es war später Nachmittag gewesen, als er wegging. Er ging zur Hintertür und fand sie offen. Charlie mal wieder, dachte er; wahrscheinlich schlief er oben. Dann sah er einige Hemden verstreut im Garten liegen. Er hatte sie zum Trocknen an die Wäscheleine gehängt – von der war allerdings nichts zu sehen. War es so windig gewesen?
In der Küche herrschte noch dieselbe Unordnung, die er zurückgelassen hatte, nur ein Unterteller, der vor Zigarettenkippen überquoll, schien nicht dazuzugehören. Und Charlie rauchte nicht. Er ging weiter in sein Arbeitszimmer. Die Vorhänge waren zu, ansonsten alles wie immer.
Außer – da war etwas auf dem Schreibtisch.
Er schaltete das Licht an. Von einer Ecke zur anderen war ein X in die polierte Holzoberfläche geritzt.
Und ein Wort, entlang eines Arms des X: Satansbrut .
»Bonner!«
»Richtig, Pfaffe.«
Lavelle fuhr herum und sah Bonner mit einem Teppichmesser in der Hand im Türrahmen stehen. Als er näher kam, wich Lavelle hinter den Schreibtisch zurück und griff rasch nach dem Telefon, stieß jedoch in der Aufregung den Hörer von der Gabel, sodass er in der Luft baumelte. Bonner war plötzlich neben ihm und hielt ihm das Messer an den Hals. Schon floss Blut aus einem ersten Kratzer.
»Du bist geliefert, Mann. Ich bin hier, um dir die Sterbesakramente zu spenden, falls du weißt, was ich meine.« Seine Augen waren wild und blutunterlaufen. Er musste auf irgendeiner Droge sein.
»Und es gibt kein Entkommen vor Wayno. Oder Wayne, für dich.«
»Hören Sie, Wayne«, sagte Lavelle leise, »warum gehen wir nicht in die Küche und klären die Sache in aller Ruhe. Ich muss wissen, warum Sie hier sind.«
»Du musst überhaupt nichts wissen, Pfaffe. Jetzt setz dich hin.« Er drückte ihn in den Sessel, holte ein Stück Nylonschnur aus seiner Tasche und warf es auf den Schreibtisch.
Es waren immer noch ein paar Wäscheklammern dran. Solche lächerlichen Details gingen Lavelle durch den Kopf. Oder die Beobachtung, dass Bonners Sprache verkommen war. Er wusste, er konzentrierte sich nicht genügend darauf, wie gefährlich die Situation war. Dann befahl ihm Bonner, eine Schlinge zu nehmen, die er gemacht hatte, und sie über sein linkes Handgelenk und
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