Die Keltennadel
Dabei entdeckte sie die Brandyflasche, die hinter dem Vorhang auf dem Fensterbrett stand. Die hatte sie beim Saubermachen übersehen. Sie hatte den Deckel des Abfalleimers schon angehoben, um sie wegzuwerfen, aber stattdessen füllte sie ein halbes Glas und mischte es mit der Cola. Dann warf sie sich aufs Sofa und brütete vor sich hin.
Wo zunächst nur Enttäuschung gewesen war, verdüsterten nun erste Zweifel ihre Gefühle für Liam Lavelle. Und wo Zorn gewesen war, flüsterte ihr nun die Angst unerfreuliche Dinge über ihn ein. Bestenfalls war er herzlos, gleichgültig. Und schlimmstenfalls war er ein sexueller Wüstling mit einer von Religion und erzwungener Ehelosigkeit versauten Persönlichkeit.
Sie goss sich noch mehr Brandy ein und gab einen Spritzer Coke dazu. Sie dachte daran, was sie über abweichendes Verhalten in ihren Psychiatriebüchern gelesen hatte. Grässliche Fallbeschreibungen stiegen in ihr auf, je mehr der Alkohol ihre Fantasie anregte. Was genau war wohl zwischen Lavelle und dieser Frau in den Staaten passiert?
Nach einem weiteren Drink begannen sich ihre Gedanken im Kreis zu drehen und wurden zunehmend unzusammenhängend.
Er hatte mit großem Gefühl von Paula gesprochen, aber war das echt oder nur gut gespielt gewesen? Warum mochte Taaffe ihn nicht? Welche Faszination hatte ein mitleidloser Christus für ihn? Warum war er so von Blut und weiblicher Sexualität besessen? Wie war Paula Ryman wirklich gestorben?
Dann begann die Benommenheit einzusetzen, und nicht einmal eine Stunde nach ihrem ersten Brandy schwankte Jane nach oben in ihr Bett und schlief ein.
Am nächsten Morgen um neun Uhr duschte sie, zog sich an und fuhr ins Dorf hinunter. Sie fühlte sich benebelt. Musste sie sich die Pille danach von einem Arzt verschreiben lassen? Sie wusste es nicht. Sie würde in einem Café am Ort frühstücken und darüber nachdenken. Erst holte sie sich aus einem Zeitungsladen noch die Irish Times , dann ging sie ein paar Türen weiter in das Café. Sie setzte sich an einen Tisch und schlug die Zeitung auf. Rechts vom Aufmacher, einem Bericht über den Israelbesuch des amerikanischen Präsidenten im Vorfeld der Friedenskonferenz, sah sie die Schlagzeile:
OPFER DES MESSERSTECHERS WAR BERATER DER POLIZEI
Pfarrer Liam Lavelle, der gestern bei einer Messerattacke in Kilbride verletzt wurde, soll die Polizei über mögliche Aspekte des Ritualmords in dem Dorf zu Beginn des Monats beraten haben. Pfarrer Lavelle ist informeller Berater der Erzdiözese in Sektenfragen. Ein Sprecher des St. Vincent’s Hospital bezeichnete seinen Zustand gestern als ernst. Inzwischen geht die Polizei davon aus, dass der Mord an Kara McVey (29) in Zusammenhang mit der Tötung der 20-jährigen Sarah Glennon steht, deren Leiche Anfang des Monats in der Pfarrkirche von Kilbride entdeckt wurde. Der Messerangriff auf Pfarrer Lavelle könnte von einer Person ausgeführt worden sein, die Kontakte mit einer Gruppe namens Der Zehnte Kreuzzug hat. Die Polizei bestreitet, dass der Angriff und möglicherweise auch die kürzlichen Morde mit einer internen Fehde in der Organisation zu tun haben. Der mutmaßliche Angreifer des Priesters wurde durch das beherzte Eingreifen von Gemeindemitgliedern, die Zeugen des Angriffs im Haus des Pfarrers wurden, selbst erheblich verletzt. Der Täter, Wayne Bonner (26), ist der Garda nicht unbekannt. Er soll schwere Kopfverletzungen erlitten haben und wurde ins St. James Hospital gebracht. Sein Zustand wurde gestern Abend als kritisch bezeichnet.
Jane stürzte aus dem Café und rannte zu ihrem Auto, das sie an der Hauptstraße geparkt hatte. Sie wendete, ohne auf das Hupen der anderen Fahrer zu achten, und raste in Richtung Dublin.
50
D etective Dempsey saß mutlos und allein in der Einsatzzentrale in Lucan. Er hatte gerade eine der schwersten Demütigungen in seiner ganzen Laufbahn erlitten.
Sein Vorgesetzter, Chief Superintendent Bill McDonagh, hatte eine Versammlung aller mit dem Fall befassten Beamten einberufen. Außer einer erweiterten Mannschaft der Polizei, die inzwischen an der Morduntersuchung arbeitete, nahmen daran auch drei Detectives teil, mit denen McDonagh das Team verstärkt hatte. Der Superintendent hatte vor, selbst stärker in die Ermittlungen einzugreifen, und hatte Dempsey nach dem Angriff auf Lavelle am Vortag befohlen, Tom Dixon, einen bekannten Antisekten-Aktivisten der Irisch-Christlichen Mission, zu Rate zu ziehen. An diesem Punkt spürte Dempsey zum ersten Mal, dass
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