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Die Keltennadel

Die Keltennadel

Titel: Die Keltennadel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
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stimmen.« Sie brachte ihre Arbeit so rasch wie möglich zu Ende und ging. Seit er im Krankenhaus unter Bewachung stand, hatte ihn das Personal professionell, wenn auch nicht besonders freundlich behandelt. Nun hatte er eben seine erste Erfahrung mit offener Feindseligkeit gemacht, und sie erschütterte ihn. Klerusfeindlichkeit hatte sich in den letzten Jahren wie ein Unkraut in Irland breitgemacht. Und als Folge davon hatte Lavelle erlebt, wie die katholischen Laien ihren Glauben so schnell aufgaben, als wären sie gerade aus einem bösen Traum erwacht. Er wurde nun häufig von Menschen angesprochen, die plötzlich feuilletonistische Einsichten in ihre Religion gewonnen hatten. »Das ist alles nur ein Märchen, Herr Pfarrer – Jesus, die Wiederauferstehung, das ganze Zeug«, so lautete eine typische Aussage.
    Ja, es hatte den äußeren Anschein eines Märchens, damit die Menschen die Sache verstehen konnten. Der religiöse Impuls, der offenbar in ihre Seele eingebrannt war, brauchte gewisse Konventionen – Rituale, die Möglichkeit des Transzendenten, ethische Erfordernisse und eine Geschichte, die es dem Einzelnen erlaubte, einen Sinn in seiner Existenz zu sehen. Das war die Stärke von Märchen und Mythen: eine Sammlung von Geschichten, die uns versichern, dass unsere Bemühungen einerseits alltäglich sind, andererseits aber doch zum außerordentlichen Abenteuer des Daseins gehören.
    Die Geschichte von Jesus und seiner Wiederauferstehung zielte dagegen höher. Sie besagte, dass es wahrhaftig ein paralleles Universum gab, in dem die Leiden und Härten des Lebens eine Bedeutung erlangten, anstatt offen und unbeantwortet zu bleiben. Und dass Gott die Kluft zwischen diesen beiden Welten überbrückte, als hätte diese Welt im Augenblick Seines Todes einen Blick in das Wurmloch geworfen, das in die andere führte.
    Aber das hörte sich vermutlich alles nur so gut an, wenn man bereits überzeugt war. Und war er noch überzeugt? Er würde genauer darüber nachdenken müssen, wenn er wieder kräftiger war.
    Aber das Verhalten der Krankenschwester ging ihm nicht aus dem Kopf.
    Das Ironische dabei war, dass Jane als Protestantin nichts von der Bitterkeit in sich hatte, die das Verhältnis zwischen der katholischen Geistlichkeit und ihrer Herde vergiftete. Kamen sie auch deshalb so gut miteinander aus? Weil sie keine Schwierigkeiten damit hatte, dass er Priester war? Keinen Argwohn, was seinen Charakter betraf? Immerhin heirateten die Pastoren der anglikanischen Kirche und hatten Familie. Wäre er ein Pastor, hätte er nun zweifellos ein passendes Bibelzitat zur Hand. Er dachte angestrengt nach. Jesus hatte da etwas gesagt… im Johannesevangelium…
    Wenn die Welt euch hasst, dann wisst, dass sie mich schon vor euch gehasst hat.
    Das genügte für den Augenblick.

58
    G egenüber der Arena von Verona bietet der breite Gehsteig auf der Piazza Bra, den sie den »Listone« nennen, Cafébesuchern und Spaziergängern jede Menge Platz, einander zu beobachten. An diesem sonnigen, aber kühlen Frühlingsmorgen saßen nur wenige Einheimische an Tischen im Freien, die Radiocrew jedoch, die dem unwirtlichen irischen Wetter entflohen war und es kaum erwarten konnte, italienisches Ambiente einzusaugen, trotzte frohgemut der leichten Kühle an einem ansonsten makellosen Tag. Die Sendungen am Dienstag und Mittwoch waren gut gelaufen, und das Team entspannte sich vor der letzten an diesem Nachmittag; sie sendeten aus dem Amphitheater, das nur ein Drittel der Größe des Kolosseums hatte und in der nächsten Woche der Schauplatz einer spektakulären Aufführung von Verdis Aida sein würde. In der im Spätsommer stattfindenden Opernsaison wurde dieses Werk in der Arena am häufigsten gespielt, aber anlässlich Veronas Ernennung zur Kulturhauptstadt Europas hatte man dieses Jahr eine zusätzliche Aufführungsreihe im Frühjahr angesetzt.
    Jane hatte ihren Bericht über italienische Popmusik bereits aufgezeichnet. Das bedeutete, ihre Arbeit war, abgesehen von ihrer inoffiziellen Rolle als Dolmetscher, erfolgreich zu Ende gebracht, und sie hatte nun Zeit zum Grübeln. Sie saß ein kleines Stück abgerückt von ihren Kollegen und trug eine dunkle Sonnenbrille, weniger zum Schutz vor der grellen Sonne, sondern weil die rot geränderten Augen ihre Gefühle verraten hätten.
    Alles, was sie sicher über Liam Lavelle zu wissen glaubte, schien sich in nichts aufzulösen. Es begann mit der E-Mail über Michael Roberts, die er angeblich erhalten

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