Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
seiner Schulter festkrallte. »Ich meine, wollt ihr damit sagen, Kai ist einer von denen?«
»Sehr wahrscheinlich.« Keru nickte.
»Nein!«, stellte Endriel klar. »Ich war dabei, als sie ihn geschnappt haben. Er hat sich geweigert, mit ihnen zu gehen. Wenn er zu ihnen gehört, weshalb sollten sie ihn dann betäuben?«
»Um zu verhindern, dass er gewisse Geheimnisse ausplaudert«, antwortete Keru.
»Nein!« Endriel hob den Zeigefinger. »In dem Fall hätten sie ihn sofort und auf der Stelle umgelegt!«
»Nicht, wenn sein Kaiser darum gebeten hat, ihn persönlich umzulegen.«
Endriel starrte ihn wütend an. Warum wehrst du dich schon wieder gegen die Wahrheit?, dachte sie. Du weißt doch mittlerweile, dass Kai nicht der sein kann, für den er sich ausgegeben hat. Sieh es endlich ein – er hat dich und die anderen nur benutzt. Und du warst dumm genug, es mit dir machen zu lassen!
Kai war ein Abtrünniger des Schattenkults. So musste es sein, es würde alles erklären: den Angriff des Draxyll in der Gasse, lange bevor die Weißmäntel ihn haben wollten und natürlich seine waghalsige Flucht aus Teriam. Er war nicht nur vor den Häschern des Gouverneurs geflohen, sondern vor seinen eigenen Leuten.
Nun ergab auch die Jagd der Weißmäntel Sinn. Irgendwie hatte Syl Ra Van von Kai Wind bekommen und vielleicht ebenso von dem heraufziehenden Krieg. Aber warum verheimlichte er es dann Andar Telios und seinen Leuten? Ganz einfach: um zu verhindern, dass sie den Kult vorwarnen konnten.
Wer auch immer Kai Novus war, was immer er getan hatte oder tun würde, er war ein entscheidendes Zahnrad in der Maschinerie, die die Zukunft formte. Doch je länger Endriel diesen Gedanken verfolgte, desto verzweifelter wurde sie.
Und Keru bohrte in ihrer Wunde: »Wie es aussieht, hat er dich und deine Naivität nur ausgenutzt.«
Endriel öffnete den Mund um ihn anzublaffen, doch Xeah unterbrach sie. Mit ruhiger, leiser Stimme sprach die Draxyll zu allen: »Noch sind das alles nur Mutmaßungen. Wir haben keine Beweise. Wir werden Kai persönlich befragen, sobald er aufwacht. Wir dürfen auf keinen Fall überstürzt handeln.«
»Und was machen wir, wenn er sich irgendwie verrät?«, fragte Nelen. »Wenn wir herauskriegen, dass er uns die ganze Zeit belogen hat? Übergeben wir ihn den Weißmänteln?«
Keru schüttelte den Kopf. »Nein, denn dann gehen wir das Risiko ein, dass die Agenten des Kults in ihren Reihen ihn doch noch zu fassen kriegen und er sie zu uns führt. Nein. Sollte er zu ihnen gehören, wird es das Beste sein, ihn zum Schweigen zu bringen.«
»D-Du willst ihn abmurksen?« Nelens Hände berührten ihren winzigen Hals.
»Keru.« Xeah sah den Skria mit großen Murmelaugen an. »Ist dir klar, was du da sagst?«
»Natürlich. Willst du etwa zwischen die Fronten geraten? Es ist ungesund, wenn einem die Mächtigen zu viel Aufmerksamkeit schenken!«
»Endriel ...« Nelen sah ihre schweigende Freundin an.
Worauf habe ich mich da bloß eingelassen?, dachte Endriel. Sie blickte zu Miko, in dessen Augen Tränen glitzerten. Das ist nicht mehr das Abenteuer, das du dir gewünscht hast, was? Jetzt wird es ernst.
Ihr Magen war ein einziger Eisklumpen, trotzdem fühlte sie sich ausgehöhlt und leer. Hinter den Holzwänden dieser Kuppel schien plötzlich ein Sturm zu brodeln, der jeden Moment über sie alle herfallen würde, um sie zu verschlingen. Noch ist nichts entschieden , sagte sie sich. Wir dürfen jetzt auf keinen Fall anfangen durchzudrehen! Doch es war schwer, sehr schwer.
Bald darauf erhielten sie die Nachricht: Kai Novus war erwacht.
Kai richtete sich auf, als Endriel eintrat. Er aktivierte die Lichtkugel, regelte sie auf gedämpften Schein und rieb sich die Augen. Sein Haar war durcheinander und sein Kinn von Stoppeln übersät. Der Anblick erinnerte sie schmerzlich an ihr erstes Wiedersehen an Bord der Korona .
»Endriel? Bist du das?«
»Ja«, antwortete sie kühl, während sie näher kam. Sie blieb vor seiner Schlafmatte stehen und stemmte die Hände in die Hüften. Das Dämmerlicht warf weiche Schatten und ließ einen Großteil des Krankenzimmers im Halbdunkel. Draußen auf dem Korridor herrschte Stille. »Wie geht es dir, Kai?«
Vom Kopf bis zur Hüfte war er nackt, der Rest verschwand unter der Bettdecke. Sie sah, dass seine Brust nur leicht behaart war; die Verbände an seinem Arm und auf dem Bauch leuchteten in frischem Weiß. Er trug noch immer die Armschiene.
»Ich bin in Ordnung«, sagte er und sah
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