Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
Darauf leuchtete eine weiße Krone. Als das Schiff sich dem Objekt näherte, erkannte sie, dass es sich um einen dornartig geformten Felsen mit schneebedeckter Spitze handelte. Da ist sie! Das ist die Insel!
Um die Anspannung in ihrem Bauch zu überspielen, holte sie tief Luft, was allerdings nicht viel änderte. Irgendwo dort unten befand sich der letzte der Sha Yang in Zeitlosem Schlaf und wartete auf sie. Wir sollten es jetzt besser nicht vermasseln . Sie faltete ihre nervösen Hände. Wir haben eh schon mehr Glück als Verstand gehabt! Sie wandte sich an Nelen auf ihrer Schulter. In ihren Veilchenaugen spiegelten sich ähnliche Gedanken und Befürchtungen wider.
Kai stand neben ihnen an der Scheibe und starrte hinaus. »Es gibt dort ein kleines Plateau, auf der uns abgekehrten Seite«, sagte er ohne sich umzudrehen. »Dort müssten Sie problemlos landen können, Keru.«
Der Skria nickte wortlos und begann den Landeanflug auf die kleine Felsinsel.
»Gehst du allein runter, Kai?«, fragte Endriel.
Er schüttelte den Kopf. »Ich brauche Hilfe, um den Sarkophag nach draußen zu tragen. Er ist nicht sehr schwer, aber unhandlich.«
»Ich helfe Ihnen!«, verkündete Miko prompt. Dann strich er sich verlegen die Haare aus dem Gesicht. »Das heißt, wenn Sie einverstanden sind, Kapitän!«
Sie lächelte. »Natürlich, Miko. Du bist schließlich nicht auf einer Kreuzfahrt. Wird Zeit, dass du ein bisschen arbeitest!«
»Nichts lieber als das, Kapitän!« Er war so voller Tatendrang, dass er gar nicht wusste, wohin mit seiner Energie.
Xeah regte sich auf ihrem Diwan. Endriel hatte schon fast befürchtet, sie wäre in Winterstarre gefallen. »Keru und ich bleiben an Bord«, sagte die Draxyll, »und halten die Augen offen.«
»In Ordnung.« Endriel nickte. »Was ist mit dir, Nelen?«
»Das ist ja wohl die dümmste Frage des Universums!« Die Yadi grinste. »Glaubst du allen Ernstes, ich lasse mir das entgehen?«
Die Korona umrundete die Insel in einem Halbkreis, bis Keru sie sanft mit eingezogenen Flügeln auf dem bewussten Plateau aufsetzen ließ. Die verschneite Fläche war gerade groß genug, das Schiff aufzunehmen. Auf der Backbordseite ragte die Spitze des Felskegels zehn oder fünfzehn Meter in die Höhe. Von der Brücke aus suchte Endriel nach einem Eingang, einem Tor, einem Nexus – irgend etwas, das ihnen einen Zugang zum Inneren verschaffen würde. Ohne Erfolg. Am besten, sie überließ die Führung von nun an Kai. Das hier war sein Terrain.
»Also schön«, sagte sie schließlich ihrer Mannschaft zugewandt. »Bringen wir es hinter uns und verschwinden dann so schnell wie möglich. Irgendwelche Einwände?«
»Ausnahmsweise keine«, antwortete Keru mit gebleckten Zähnen. »Aber nehmt das hier mit.« Er warf Endriel den kleinen Geisterkubus zu, mit dem sie in Verbindung bleiben konnten.
»Viel Glück«, sagte Xeah.
Sie zogen sich Jacken und Mäntel über. Als sie die Außentür öffneten, schlug ihnen kalter Wind entgegen, der den Salzatem des Meeres trug. Endriel fuhr die Gangway aus und bat Kai, voran zu gehen. Nelen verschwand im halboffenen Mantel ihrer Freundin. Miko bildete die Nachhut. Staunend sah er sich um.
Die Korona deaktivierte derweil die Kuppelbeleuchtung und sämtliche Lichter im Inneren. Endriel blickte zurück und sah eben noch die Silhouetten von Xeah und Keru, bis Dunkelheit das Schiff erfüllte.
Als sie die Gangway verließen, versanken sie knöcheltief im Schnee. Unangenehme Erinnerungen an ihren kurzen Aufenthalt in Kirall wurden wach. Endriel tat ein paar Schritte zum Rand des Plateaus, wo die Klippen Dutzende Meter steil hinab bis zum Fuß der Insel stürzten, den wilde Wellen brüllend umtosten.
»Ich glaube, mir wird schlecht«, murmelte Nelen in ihrem Versteck. Eine winzige Dampfwolke stieg aus dem Mantel.
Endriel kehrte zu Miko und Kai zurück. Sie standen vor der Felswand. Kai hob seine Armschiene, die Kristalle des Artefakts leuchteten hell wie die Monde in der Nacht.
Endriel, Miko und Nelen, die neugierig ihren Kopf aus dem Mantel streckte, sahen staunend zu, wie die Steinwand vor ihnen anfing zu verschwimmen, wie flimmernde Wüstenluft oder die Projektion eines defekten Geisterkubus. Bis sich schließlich ein drei Meter hohes, scharf geschnittenes Metalltor aus dem Fels formte. Kai berührte es mit der Armschiene und die Barriere glitt zur Seite. Dahinter kamen blaue Kachelwände zum Vorschein, die aus sich selbst heraus leuchteten, sowie eine Reihe glatter
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