Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
das hat nichts zu bedeuten. Sie haben ihre Quellen. Ihr Informationsnetz ist beinahe so gut wie das des Gouverneurs. Bald werden sie sich erheben und die Neue Ordnung ausrufen. Ihre Agenten in den Reihen der Weißmäntel werden sich gegen den Orden wenden. Syl Ra Van wird nicht wissen, wer zu ihm oder zum Feind gehört. Er wird untergehen. Der Kult ist mächtig.«
Endriel sagte nichts. Wer konnte eine solche Bedrohung aufhalten?
»Und wenn sie sich erheben ...«, begann Nelen.
»Werden sie mich töten«, vollendete Keru. »Der Kaiser vergisst niemals einen Verräter. Vielleicht haben sie mich nur so lange am Leben gelassen, um mir falsche Hoffnung zu machen, oder damit ich zusehen kann, wie sie ihren letzten Trumpf ausspielen. Aber sie haben mich nicht vergessen, das weiß ich.«
Schweigen kehrte ein. Schließlich flog Nelen zu ihrer Freundin und tippte ihr auf die Schulter. »Endriel.«
»Ja?«
Nelen sah verlegen drein. »Vielleicht sollten wir auch endlich unsere Beichte ablegen. Ich meine, wegen ... du weißt schon.«
Natürlich wusste sie das. »Ja. Schätze, du hast Recht.« Endriel nickte und wandte sich dann an die anderen, die sie mit unverhohlener Neugier beobachteten, Keru eingeschlossen. »In Ordnung, ihr alle. Wenn wir schon mal dabei sind, es gibt da etwas, das Nelen und ich euch verschwiegen haben.« Sie holte tief Luft und dachte: Ach, was soll’s? »Bis zu dem Tag, als Keru uns in Teriam fand, haben wir unser Brot als Diebe verdient.«
»Diebe?«, wiederholte Keru.
Kai lächelte wissend. Xeah blinzelte; sie sah zu Miko, der seinen Kapitän bewundernd musterte.
Endriel legte die Hände auf die Hüften und zuckte mit den Achseln. »Sha Yang-Artefakte. Nichts Weltbewegendes – irgendwelche Museumsexponate oder Sammlerstücke aus Privatbesitz, meistens im Auftrag anderer. Aber es hat eine Menge Geld gebracht.«
»Und wir sind nicht stolz drauf!« erklärte Nelen.
»Ich schon«, gestand Endriel. »Es hat schließlich niemandem weh getan. Und wir waren gut, oder nicht?«
»Wir wurden nie geschnappt.« Nelen kraulte sich am Kinn. »Ich schätze, wir waren wirklich gut!«
Endriel sah Kais hintergründiges Schmunzeln, ebenso wie Mikos begeisterten Blick: gerade war sie zu seiner persönlichen Heldin geworden. Alle bis auf Xeah zuckten zusammen, als Keru plötzlich ein markerschütterndes, grollendes Geräusch von sich gab. Er warf seinen Kopf zurück und riss das Maul weit auf, sodass seine blitzenden Fangzähne zu sehen waren. Erst nach Sekunden erkannte Endriel es als Lachen. »Was ... was ist so komisch?«
Er wischte sich eine Träne aus seinem Auge. »Ihr zwei. Ihr seid komisch.«
Nelen war beleidigt, aber Endriel lächelte. »In Ordnung«, sagte sie und blickte in die Runde. »Hat sonst noch jemand etwas zu beichten? Ich glaube, jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür.«
»Ich habe das schon hinter mir!« Kai hob lächelnd die Hände.
»Tut mir leid«, antwortete Xeah amüsiert. »Ich habe hundertvierundzwanzig Jahre lang ziemlich gesetzestreu gelebt.«
Miko hob seine Hand. »Ich, äh, habe mal zehn Gonn aus der Geldbörse meiner Mutter gestohlen, um mir einen Ringkampf anzusehen.«
Endriel zwinkerte ihm zu. »Um deinetwillen hoffe ich, dass die Weißmäntel keinen Wind davon kriegen, Miko.«
Er grinste. »Ich glaube, ich konnte meine Spuren ganz gut verwischen, Kapitän!«
24. Die blaue Krypta
»Ein Geheimnis, verpackt in einem Rätsel, versteckt in einem Mysterium. Das waren die Sha Yang.«
– die Archäologin Kellis Olennras
Kurz vor Mitternacht erreichte die Korona ihr Ziel. Als Keru mitteilen ließ, dass die Landung auf Yu Nans Insel kurz bevor stand, konnte Endriel es nicht glauben. Der Flug war vollkommen störungsfrei verlaufen: keine Weißmäntel, keine Schatten, nichts. Und genau das machte sie misstrauisch. Nach ihrer Erfahrung machte einem das Universum immer dann einen Strich durch die Rechnung, wenn alles perfekt schien.
Die Mannschaft versammelte sich auf der Brücke. Alles, was sie draußen sahen, war das Große Meer, das sich dunkel vom samtblauen Sternenhimmel abhob und bis zum Horizont ausdehnte. Mittlerweile hatte es zu schneien aufgehört. Die Korona war mit voller Energie durch die schützende Wolkendecke getaucht und raste in dreihundert Meter Höhe über den Ozean hinweg. Küste und Stadtlichter lagen kilometerweit hinter ihnen und die Entfernung wuchs von Sekunde zu Sekunde.
Endriel sah eine schwarze, zerklüftete Silhouette aus den Wellen aufragen.
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