Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
die Schattenkaiser mittlerweile ebenfalls ausgelöscht waren, war der Traum gestorben. Von den Sha Yang existierten nur noch Legenden. Und ihre geheimnisvollen Artefakte.
Und Endriel Naguun, nun kein kleines Mädchen mehr und weit weg von zu Hause, stahl diese Artefakte, um sich ein leichtes Leben zu erkaufen und sich vor der Bedrohung anständiger Arbeit zu schützen.
Sie schüttelte den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. Verdammt, du kannst es dir nicht leisten, dazustehen und rumzuträumen, Mädchen!
Eilig ließ sie einen Geisterkubus nach dem anderen in ihrem Rucksack verschwinden. Dann griff sie nach ein paar weiteren Schmuckstücken und sackte sie ein. Als ihr Rucksack voll war (abgesehen von einem kleinen Unterschlupf für Nelen), verstaute sie den Rest in den Hosentaschen.
Der heutige Tag würde sie reich machen. Und mit dem Geld kam die Freiheit: Einen halben planetaren Zyklus – fast ein Jahr nach der alten Rechnung aus der Zeit des Saphirsterns – würden Nelen und sie sorgenfrei leben. Sie konnten durch die Welt reisen, sich mit dem besten Essen durchfüttern lassen und jeden ihrer Träume wahr machen. Oder zumindest einige davon.
Einzig und allein die Erinnerung an ihren Vater trübte diese herrlichen Aussichten ein wenig. Endriel hatte seit drei Jahren nicht mehr mit ihm gesprochen.
Yanek Naguun hatte sie von Kindesbeinen an dazu erzogen, eines Tages ein Friedenswächter zu werden, genau wie er. Es würde ihn wohl freuen, dass seine Tochter mittlerweile auf eigenen Füßen stand. Weniger gut verkraften würde er, dass sie ihre Ausbildung dazu missbrauchte, in waghalsigen Aktionen wertvolle Artefakte zu stehlen.
Was kümmert dich dieser Knochenkopf?, dachte Endriel ärgerlich. Er hat es doch so gewollt!
Als ihre Taschen zum Bersten gefüllt waren, sah sie sich ein letztes Mal um. Sie hätte am liebsten jede einzelne Kiste durchforstet, jedes Sha Yang-Spielzeug unter die Lupe genommen. Aber die Zeit drängte. Also schlich sie sich schweren Herzens zurück in den Korridor. Das Kraftfeld aktivierte sich automatisch, als sie den Frachtraum verließ. Die Wächter lagen immer noch zwischen Glaskrümeln und machten ein Nickerchen. Nur Nelen war verschwunden.
»Nelen?«, fragte Endriel vorsichtig. »Nelen, wo –?« Sie musste sich zusammenreißen, um nicht plötzlich loszuschreien, als etwas auf ihrer Schulter landete. Ihre Freundin hockte auf ihrem Stammplatz und grinste sie an.
»Wo warst du?«
»An der Decke, wo sonst?«, entgegnete die Yadi. »Und? Hast du alles?«
»Blöde Frage. Lass uns verschwinden.« Endriel zog die Schutzbrille über, während Nelen wieder Zuflucht im Rucksack suchte. Endriel gefror, als hastige Stiefelschritte polterten, irgendwo am anderen Ende des Korridors. »Scheiße ...« Ein paar Sekunden länger in der Schatzkammer und man hätte sie womöglich geschnappt. Egal. Sie hatte was sie wollte. Also sprang sie aus dem Fenster, klappte die Schwingen aus und ließ sich vom Wind erfassen.
Ihr kleiner Freundschaftsbesuch auf dem Museumsschiff hatte weniger als zehn Minuten gedauert. Kein Rekord, aber immer noch gut genug, um Endriels Meinung zu bestätigen, dass heute ein absolut herrlicher Tag war.
Sie setzte am Rande eines Maisfelds auf. Einziger Zeuge ihrer Landung war ein graugrüner Draxyll, der seinen gebeugten Körper an einer Sense abstützte. Mit trägen Murmelaugen beobachtete er, wie eine junge Menschenfrau mit ausgebreiteten Schwingen aus dem strahlenden Himmel zu Boden segelte, sich abrollte, aufstand und Staub von ihrer Kleidung abklopfte, während eine Yadi auf ihrer Schulter landete.
»Herrliches Flugwetter«, erklärte Endriel dem alten Bauern, doch dieser blinzelte sie nur ratlos an.
»Und nun?«, fragte Nelen, als sie sich außer Sichtweite befanden.
»Nun müssen wir nur noch die Artefakte nach Teriam bringen.«
»Das ist mir klar. Aber wie?«
»Vertrau mir einfach.«
Bereits aus der Luft hatte Endriel gesehen, dass es ganz in der Nähe einen Kratersee gab. Er war umringt von den Hütten eines kleinen Fischerdorfes, wie man sie fast überall in dieser Hemisphäre traf. Von dort aus musste es eine Möglichkeit geben, irgendwie in die Hauptstadt zu gelangen, wo Chasu bereits sehnsüchtig darauf wartete, die Beute in Empfang zu nehmen. Und wenn nicht: Endriel war so energiegeladen, dass sie selbst einen mehrtägigen Fußmarsch in Kauf genommen hätte.
Sie war glücklich. Noch immer war ihr Körper voller Adrenalin, sie hatte das Abenteuer
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