Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
gespürt, und die beste Zeit stand ihr noch bevor. So war es, am Leben zu sein. Sie genoss es, jede einzelne Sekunde davon.
Die Sonne hatte sich mittlerweile ein gutes Stück vom Himmel erobert, und in den hohen Gräsern zirpten Insekten unter der Last der Hitze. Die rote Erde war ausgetrocknet, rissig und dürstete nach Regen. Endriel zog ihre Jacke aus und warf sie ins Gras; das weiße Seidenhemd, das sie darunter anhatte, ließ sich bei diesen Temperaturen viel angenehmer tragen. Sie befreite sich von Schal und Schutzbrille und schleuderte beides weit von sich. Wenn sie wollte, konnte sie sich in Zukunft Tausende von diesen Dingern kaufen.
»Das war mal wieder viel zu leicht!«, sagte sie lachend. Schweiß stand ihr auf der Stirn, doch glücklicherweise flog Nelen direkt neben ihr, und ihre Flügel fächelten ihr kühlen Wind zu. Nur der Rucksack wog noch immer schwer auf ihrem Rücken. »Ich hätte mir schon eine größere Herausforderung gewünscht!«
»Ich hoffe, beim nächsten Mal erfüllt sich dein Wunsch.« Nelen lächelte ironisch, wobei sie ihre spitzen Eckzähne entblößte.
»Ja, aber bis zum nächsten Mal wird es noch ein Weilchen dauern.«
»Es sei denn, du wirfst das Geld wieder mit beiden Händen zum Fenster raus.« Nelen flatterte direkt vor den Augen ihrer Freundin und legte anklagend die winzigen Hände auf die winzigen Hüften.
Endriel zuckte sorglos mit den Achseln. »Hey, es ist nur Geld. Ist ja nicht so, als ob unser Seelenheil davon abhinge.«
»Unser Seelenheil vielleicht nicht. Aber mit Sicherheit unser extravaganter Lebensstil.«
»Punkt für dich. Aber was das Geld angeht: Da draußen gibt es eine Menge mehr davon zu holen, für uns zwei. Außerdem, selbst wenn ich mir jeden Tag eine komplette Kleidergarnitur zulegen sollte – was ich übrigens nicht vorhabe –, kommen wir mit Chasus Geld eine ganze Weile über die Runden.«
»Wenn er uns nicht übers Ohr haut«, gab Nelen zu bedenken. Sie ließ sich wieder auf Endriels Schulter nieder und hob die Flügel, um sich in deren Schatten auszuruhen.
»Keine Sorge.« Endriel hatte ihr Strahlen nicht verloren. »Uns kann nichts passieren. Nicht heute. Heute scheint die Sonne nur für uns beide!«
Nelen verschränkte die Arme. »Nur schade, dass die Sonne auch irgendwann mal untergeht.«
Es war ein Fischerdorf wie aus dem Bilderbuch, bewohnt von Menschen und einigen wenigen Draxyll. Letztere waren hervorragende Taucher und beim Fischfang fast unersetzlich, obwohl ihr Volk sich rein vegetarisch ernährte. Kinder beider Rassen spielten auf den sandigen Wegen, und der Duft von geräuchertem Fisch schwängerte die Luft.
Es schien, als sei die Zeit hier seit fast einem Jahrtausend stehen geblieben.
Endriel und Nelen gaben sich als verirrte Reisende aus und erkundigten sich höflich nach dem schnellstmöglichen Weg nach Teriam.
Eine alte Menschenfrau mit silbernem Haar und einem freundlichen Lächeln erklärte ihnen, dass sie großes Glück hätten. Zwar gebe es in dem winzigen Dorf kein Nexus-Portal (natürlich nicht), doch dafür würde in knapp zwei Stunden ein Drachenschiff vorbeikommen, das Lebensmittel und Werkzeuge mitbrachte und anschließend in Richtung Xarul aufbrach. Endriel hatte sich nur mit Mühe das Lachen verkneifen können. In Xarul hatte ihre Reise mit der Kolibri begonnen, und dort würde sie ihr Ende finden. Nett. Xarul war eine große Stadt mit mehr als viertausend Einwohnern; dort gab es mehrere Portale, die zu anderen Metropolen Kenlyns führten. Teriam eingeschlossen.
Die zwei Stunden Wartezeit vergingen wie im Flug. Endriel und Nelen saßen im Schatten einer Veranda, teilten sich eine Tüte Zuckergebäck und überlegten, was sie als erstes mit dem Geld anstellen sollten. Endriel war dafür, eine Expedition ins Niemandsland zu unternehmen, der letzten Wildnis von Kenlyn. Sie wollte den sagenumwobenen Drachenfriedhof sehen.
Nelen wollte lieber nach Deri, dem Wandernden Basar an der Küste des Großen Meeres, oder den Kristallgärten von Tian-Dshi einen erneuten Besuch abstatten.
Als schließlich das Drachenschiff landete – ein altersschwacher Frachter mit sichtbar morschen Schwingen – erklärte sich der Pilot gerne bereit, die beiden nach Xarul mitzunehmen. Selbstverständlich gegen ein gewisses Entgelt.
In der Stadt angekommen, machten sie sich sofort auf die Suche nach dem nächsten Nexus in die Hauptstadt. Das Portal erhob sich vor ihnen wie ein schwarz glänzender Triumphbogen. Auf der anderen Seite
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