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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klee
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nicht. Sie legte Danielle eine kleine, noch kindliche Hand auf die Schulter. Danielle zuckte ganz leicht zusammen. Berührungen von Fremden konnte sie nur schwer ertragen.
    «Das muss ja schrecklich sein, nicht zu wissen, wer man ist, wie man gelebt hat   …», fuhr sie fort. Danielle ließ die Kämme sinken und schaute Mestra Laura gerade ins Gesicht. Sie war im Begriff gewesen, ihr eine zurückweisende Antwort zu geben. Bei jeder anderen Frau hätte sie diese Art von Fragen als lästig empfunden, neugierige Einmischung, Aufdringlichkeit. Doch in Lauras Augen sah sie ein unschuldiges, fast kindliches Interesse, ohne falsches Mitleid, ohne jede Herablassung.
    «Es ist nicht schrecklich. Es kommt mir so vor, als sei ich ein sauber geschabtes und geglättetes Pergament. Als hätte eine mächtige, unsichtbare Hand alles, was bisher auf meiner Seele geschrieben war, abgeschabt und gelöscht. Ich bin ganz weiß und neu. Gott hat mir eine große Gnade erwiesen. Von nun an soll nur Gutes und Schönes auf mir geschrieben werden!»
    «Das ist erstaunlich! Doch, ja, genauso musst du es sehen. Ich bin froh, dass du nicht darunter leidest. Und ganz gleich, was jemand sagt, jetzt, da ich dich kennengelernt habe, bin ich ganz sicher, dass du ein guter und wertvoller Mensch bist. Ich heiße dich herzlich willkommen in unserer Stadt.»
    Sie küsste Danielle auf die Wange und stand auf. Ein Hauch von Rosenduft blieb in der Luft hängen.
    «Annik! Ist die Meisterin da?», fragte sie.
    «Sie erwartet Euch in Ihrem Haus», antwortete die Angesprochene.
    «Gut. Ich muss dringend mit ihr sprechen! Kommst du,Catherine? Oh, und – Annik, mein Diener hat einen Korb mit Brot und Kleidung für die Armen am Tor abgestellt.» Annik knickste. «Der Herr möge es Euch danken! Wir werden Eure Wohltaten gleich heute Abend verteilen!» Sie eilte nach draußen, während sie schon eifrig die Namen der armen Familien vor sich herbetete, die davon profitieren sollten.
    Laura verabschiedete sich von den Weberinnen und ging hinaus in den Hof. Ihre Schwester, die in der Zwischenzeit mit Gebba über einen Kleiderstoff verhandelt hatte, folgte ihr.
    Danielle schaute Laura nach und fühlte sich plötzlich ganz leicht und optimistisch. Es gefiel ihr in diesem Haus unter den Frauen. Hier wollte sie bleiben.
    «Worüber muss Laura wohl so dringend mit unserer Meisterin sprechen?», fragte die Frau neben ihr.
    «Wahrscheinlich hat die Zunft wieder irgendeine Gemeinheit ausgeheckt, und sie will uns vorwarnen», vermutete Manon.
    «Die Zunft?», fragte Danielle.
    «Ja, die Wollweberzunft in der Stadt, sie sind eifersüchtig auf uns. Wir nehmen ihnen einen Teil ihrer Kundschaft weg. Es passt ihnen nicht, dass wir so erfolgreich sind, und deshalb schwärzen sie uns alle naselang an. Behaupten, dass wir beim Gewicht betrügen oder schlechte Qualität liefern. Aber das ist natürlich alles Unsinn.»
    «Es schmeckt ihnen einfach nicht, dass wir keine Steuern zahlen müssen», rief Gebba aus ihrer Ecke. «Aber da können sie nichts machen, weil wir die Einnahmen ja nicht für uns selbst verwenden.»
    Aber wenig später ließ die Meisterin Danielle zu sich rufen.
    «Du darfst jetzt keinen Schrecken bekommen», sagtesie. «Mestra Laura war so freundlich, uns eine Warnung zukommen zu lassen: Abbé Grégoire von Saint Nicolas hat sich beim Magistrat darüber beklagt, dass wir dich aufgenommen haben: wegen deiner ‹zweifelhaften Herkunft› hat er gesagt. Mestre Marius hat es gehört und gleich an uns weitergegeben, damit wir angemessen reagieren können. Wasch dich und zieh dich besonders sorgfältig an heute Abend, wenn wir zum Gottesdienst gehen. Achte darauf, dass dein Haar vollständig vom Wimpeltuch verdeckt ist! Nach der Mette stelle ich dich dem Abbé vor.»
    Danielles Magen krampfte sich zusammen. Ihre Hände wurden kalt.
    «Habt Ihr nicht gesagt, die Beginen machen ihre eigenen Regeln? Was kann er denn tun?»
    «Er kann gar nichts tun, hab keine Angst!», sagte Juliana beruhigend. «Wir sind kein kirchlicher Orden. Aber wir sind auf das Wohlwollen der Kirche angewiesen. Deshalb ist es besser, den Abbé nicht zu übergehen. Ich will dir nicht verhehlen, dass er gute Verbindungen hat. Er ist – hm – ehrgeizig. Calixtus, der stammt von hier und ist zufrieden, in Pertuis zu leben. Aber Abbé Grégoire, den zieht es zur Macht. Er will unbedingt nach Avignon, wo der neue Papst sich gerade einzurichten beginnt. Es heißt, er will aus Avignon eine Heilige Stadt

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