Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klee
Vom Netzwerk:
aus gestampftem Lehm. Die Tische und Bänke sind aus rohen Brettern gefertigt. Es riecht nach Kohlsuppe und Essig. Eine junge Frau mit rosigem Gesicht steht hinter der Theke und füllt trüben Wein in Krüge ab. «Was willst du?» , fragt sie.
    «Hast du Arbeit für mich? Ich arbeite für ein Essen, einen Platz zum Schlafen   …» Unsicher sagt sie es, als ob sie erwartet, fortgejagt zu werden.
    «Arbeit gibt es mehr als genug» , sagt die Frau. Sie zögert. «Es tut mir leid, aber ich kann dich nicht servieren lassen, so wie du aussiehst. Kannst du mit Tieren umgehen? Mein Stallknecht hat sich bei einer Prügelei den Arm brechen lassen, der Trottel. Da könnt ich Hilfe brauchen.» Die Bettlerin nickt. «Zwei Mahlzeiten pro Tag; du kannst so viel essen, wie du magst. Der Wein ist für die Gäste. Wasser kannst du haben. Schlafen kannst du im Heu.»
    Sie hat es schon schlechter getroffen. Dem Knecht schmerzt der Arm, daher lässt er die Finger von ihr. Sie reibt die verschwitzten Pferde und Maultiere mit Stroh ab, schleppt Wasser und Futter, schaufelt Mist bis zum Umfallen. Die Kohlsuppe ist unerwartet gut, und es gibt Brot dazu, das hart, aber nicht schimmelig ist. Und Wein. «Weil du eine Frau bist» , sagt die Wirtin. «Dir kann man trauen. Die Männer wissen nie, wann es genug ist.» Der Wein ist mit Essig und Gewürzen versetzt, doch er betäubt die Gedanken. Es ist nicht übel hier. Nach einer Woche zieht sie weiter. Das Essen und der warme Schlafplatz halten sie nicht. Weiter nach Süden! Die Straße ruft nach ihr.
    Danielle erwachte aus ihrem Tagtraum und sah auf die hohen Mauern, die den Beginenhof umgaben. Nach oben, das war die einzige Richtung, in der ein freier Blick möglich war. Sie legte den Kopf in den Nacken und starrte sehnsuchtsvoll in den Himmel, dort, wo die Schwalben pfeilschnell hierhinund dorthin schossen und ganz oben ruhig und erhaben ein Raubvogel seine Kreise zog.
    «Wünschst du dir Flügel?», fragte Magdalène hinter ihr leise, schmiegte ihre weiche Brust, ihren üppigen Bauch an ihren Rücken und legte den Arm um ihre Taille. Danielle antwortete nicht. Stattdessen lehnte sie sich in die Umarmung und neigte den Kopf sacht ihrer Schwester zu.
    «Ich kann mir vorstellen, wie dir das Eingesperrtsein der Probezeit auf das Gemüt schlägt. Das ging uns allen so. Und dir muss es besonders schwerfallen nach deiner Zeit auf der Straße», sagte Magdalène gutmütig.
    «Hmm.»
    «Na, da wird es dich sicher freuen, wenn ich dir sage, dass du heute Ausgang haben wirst. Ich habe Juliana schon darum gebeten, und sie hat ja gesagt», lachte Magdalène.
    «Und womit habe ich das verdient?»
    «Gar nichts hast du verdient, du Undankbare! Heut ist Saint Jean, der 23.   Juni! Feiert man das nicht, da wo du herkommst?»
    In Danielles Kopf tat sich wieder eine von diesen großen Lücken auf.
    «Na, hier jedenfalls ist es eine große Sache, du wirst sehen! Am Vormittag ist die ganze Stadt ein einziger Markt mit Leckereien und Gauklern. Da werden wir Beginen einen eigenen Stand haben und Stoffe und Bänder verkaufen und Kuchen. Von dem Erlös werden die Armen gespeist. Und am Abend lässt der Magistrat auf dem großen Platz an der neuen Kirche Saint Nicolas ein Feuer errichten. Das wird schön! Früher sind wir da immer alle auf die Stadtmauer gestiegen und haben die Johannisfeuer im Land rundum angeschaut!» Sie ließ Danielle los, lupfte ihre weiten Röcke und tanzte summend im Hof umher. Eine Tür knallte. Es war natürlich Gebba, die, gefolgt von ihrer Magd,ihr Haus verließ, um sich den anderen Beginen zum Kirchgang anzuschließen. Schnalzend vor Empörung rauschte sie an der ehemaligen Hure vorbei. «Welch ein schamloses, kindisches Betragen», zischte sie aus zusammengekniffenen Lippen. Doch Magdalène ließ sich den Spaß nicht verderben: «Komm, Gebba, alter Sauertopf, lach einmal und tanz mit mir! Es ist das Fest des heiligen Johannes!» Sie ergriff Gebba bei den Händen und wirbelte sie ein paar Male herum.
    «Om no sap tan dous repaire
    Com de Rozer tro qu’a Vensa,
    Si com claus mars e Durensa
    Ni on tan fis jois s’éclaire!» ,
trällerte sie das alte Lied des Troubadours Peire Vidal:
    Ich weiß keinen süßeren Aufenthalt, als den zwischen Vence und Durance,
    keinen Ort, der von solcher perfekten Freude erstrahlt   …
    Die Schwestern, die sich bereits im Hof versammelt hatten, lachten, und Gebba musste gute Miene zum Spiel machen. Der Weg der Beginen führte nun quer durch die Stadt,

Weitere Kostenlose Bücher