Die Ketzerbibel
Patrizierin.
Der Schuster blickte auf.
«Aber, aber, meine Damen. Es ist doch genug von allem da.»
«Aber ich will gerade dieses.»
Danielle zuckte die Achseln und wollte sich schon ein anderes aussuchen, aber Magdalène wurde zornig. «Nein, meine Freundin hat das zuerst gesehen. Gebt es wieder her.»
«Ich denke nicht daran! Was will denn diese Bettlerin mit einem guten Leder? Soll sie doch barfuß laufen. So ist sie doch hergekommen, oder nicht?»
Magdalène wollte aufbrausen. «Lass sie doch. Es ist nicht wichtig», sagte Danielle.
Sie wollte sich gerade abwenden, als eine tiefe melodiöse Stimme hinter ihnen sagte: «Das ist sehr ungezogen, Angèle! Entschuldigt Euch sofort, sonst sage ich es Eurer Mutter!» Die junge Dame warf den Kopf hoch und knallte das Stück Leder wieder auf den Tisch.
Die Stimme gehörte Carolus. «Was wolltet Ihr Euch machen lassen? Ah, ich sehe schon.»
Etwas verlegen blickte Danielle auf die abgetragenen Sandalen, die sie aus der Kleiderkammer der Beginen erhalten hatte.
«Kommt hier herüber, stellt Euren Fuß auf den Schemel. Ich muss den Abdruck nehmen», sagte der Schuster.
«Lasst Euch lieber erst ihr Geld zeigen!», rief Angèle. «So eine hat doch gar nicht genug für ein Paar neue Schuhe!»
«Darf ich Euch die Schuhe schenken?», fragte Carolus. Angèle, die junge Patrizierin, sah den jungen Arzt empört an und zischte ihrer Freundin etwas zu.
«Nein, danke. Es ist sehr freundlich, aber es wäre wohl kaum recht, so etwas anzunehmen», sagte Danielle leise.
«Warum denn nicht? Wir nehmen Eure Spende für den Konvent gerne an!», lachte Magdalène Carolus an.
«Mir ist es gleich, wer zahlt. Hauptsache ich bekomme meinen Lohn», schmunzelte der Schuster gutmütig und nahm Stift und Leder, um die Umrisse festzuhalten.
Neugierig blieb Carolus stehen und sah zu, wie Danielle ein ganz klein wenig den bodenlangen Rock anlupfte. «Was für feine, schmale Füße Ihr habt!», entfuhr es ihm bewundernd.
Danielle wurde dunkelrot.
«Kusch!», machte Magdalène. «Wirst du dich wohl umdrehen?» Aber sie zwinkerte Carolus zu. «Und ihr geht gefälligst weiter, ihr zwei dummen Hühner.»
Angèle zog ihre Freundin fort. Sie hörten nicht mehr, wie sie raunte: «Sieh an, der Herr Carolus ist großzügig! Er wird schon was dafür bekommen. Na, warte nur, das sollen gewisse Leute erfahren!»
Danielle hatte genug. «Danke, ich komme ein anderes Mal wieder», sagte sie und trat den Rückzug an. Enttäuscht schaute Carolus ihr hinterher. Magdalène beeilte sich, Danielle einzuholen. Als sie außer Hörweite waren, sagte sie:
«Warum läufst du denn weg? Ich glaube, Carolus hat sich gefreut, dich zu sehen. Wir hätten ein paar Schritte mit ihm gehen können.»
Danielle beschleunigte nur ihren Schritt. Das Ganze war ihr peinlich.
«Diese dumme Pute hat es doch nur darauf angelegt, Streit mit uns anzufangen», versuchte Magdalène sie zu beruhigen
«Eben, und ich will keinen», entgegnete Danielle.
Sie schlenderten noch eine Weile in den Gassen herum, probierten reife Mispeln, die ein Bauer ihnen schenkte, und sahen sich ein Puppenspiel an.
«Psst!» Magdalène hielt Danielle am Ärmel zurück, als die Beginen in den Speisesaal strömten. «Ich gehe aber doch die Feuer anschauen – heimlich. Willst du mitkommen?»
«Aber was ist, wenn es jemand bemerkt?»
«Ach, das merkt niemand. Ich mache das jedes Jahr so – als ob ich mir Saint Jean verderben lassen würde! Wir müssen uns nur nach dem Essen freiwillig zum Aufräumen melden. Dann putzen und räumen wir so lange, bis Annik einschläft.Das dauert nie lang. Die ist abends völlig erschöpft! Und dann schleichen wir uns hinaus.»
«Und die Torhüterin?»
«Heute Abend hat Alix Torwache. Wenn wir ihr eine Extraration Wein bringen, schaut sie in die andere Richtung.»
Danielle sah besorgt aus, doch sie hatte das Eingesperrtsein satt.
«Gut», flüsterte sie. «Ich bin dabei. Aber nur auf eine halbe Stunde.»
«Sicher! Wir wollen nur zuschauen, wie sie das Feuer anzünden, und kurz auf die Mauer steigen. Dann gehen wir gleich wieder in den Konvent zurück, und die anderen im Schlafsaal werden denken, wir hätten so lange noch putzen müssen.»
Einige der jüngeren Schwestern wären auch gern noch in der Stadt geblieben, wie man an ihren langen Gesichtern erkennen konnte. «Was würde es schon schaden? Wenn wir zusammenblieben, könnte doch niemand etwas Böses denken», flüsterte Philippa.
«Kommt, kommt», Juliana
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