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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klee
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Hühnersuppe zum Tag, an dem wir sie zum ersten Mal gegessen haben, an dem etwas Bestimmtes geschehen ist   …»
    «Dann muss ich nur noch das Korn finden, das die Assoziationsreihe in Gang setzt», rief Carolus. «Ja, das will ich versuchen!»
    Er versuchte es mit einem einfachen Fragespiel, als er das nächste Mal bei Danielle im Garten saß. Oft genug war sie ihm ausgewichen, hatte angeblich zu viel Arbeit, versteckte sich im Stall, wenn sie ihn kommen sah, und war dann nichtaufzufinden – oder sie war schlicht «unpässlich», bis Juliana es satt hatte und einen festen Rhythmus für die Gespräche festlegte.
    «Lilien?»
    «Veilchen.»
    «Salz?»
    «Schinken.»
    «Weiß?», fragte er.
    «Wolken», antwortete sie. Und damit war das Spiel auch schon beendet. Er hatte gehofft, es würde zu einer Assoziationskette kommen: Weiß, Schnee, Alpen zum Beispiel – und dann zu einer Stadt, in der sie gewesen war. Oder: Weiß, Milch, Mutter   … Aber das halsstarrige Weib gab immer Antworten, von denen aus man nicht weiterkam. Frustriert griff er in sein Wams und holte Walnüsse hervor. Er legte sie neben sich auf die Bank und begann zwei davon in seinen Händen gegeneinanderzudrücken, um sie zu knacken.
    «Annik sagt, ich sollte Euch wenigstens füttern, während wir hier müßig herumsitzen.»
    «Sie findet, ich sei immer noch so dürr wie eine alte Ziege.»
    Das gab Carolus die Gelegenheit, ihre Figur genauer in Augenschein zu nehmen.
    «Ich finde, Ihr seht genau richtig aus. – Ich spreche natürlich als Arzt», fügte er hastig hinzu und errötete.
    Danielle errötete ebenfalls.
    «Esst!» Er hielt ihr die Kerne der Nüsse in seiner offenen Hand hin.
    ‹Esst› – eine Männerhand, die ihr Nusskerne hinhält. Sie stehen unter einem alten Nussbaum. Nackte Zweige ragen in den Himmel. Eingerollte, fleckige Blätter bedecken den Boden, dazwischen die aufgeweichten braunen Außenschalen der Nüsse. Es ist Spätherbst, Regen tropft von den windgeschüttelten Zweigen. Nebelschwaden treiben
über die Wiese, aus dem Wald, ringeln sich um ihre Füße, Füße in ehemals gutem, aber jetzt abgelaufenem Schuhwerk. Sie ist hungrig. Wann hat sie zuletzt gegessen? Sie ist in den Garten gekommen, um zu stehlen, ja, zu stehlen. Ein Kind hat sie entdeckt, hat nach seinem Großvater geschrien: ‹Pépé! Komm schnell, ein Dieb! Ein Dieb in unserem Garten!› – ‹Dem werd ich helfen!› – eine Männerstimme, tief und heiser. Er kommt auf krummen Beinen angerannt, ein alter Mann, und fuchtelt mit einer Sense, lässt sie dann sinken. ‹Ach je! Es ist doch nur eine Bettlerin. Armes Ding. Du musst hungrig sein. Nimm, da! Iss!› Sie klaubt die frischen Nüsse aus seiner Hand, steckt sie hastig in den Mund, ohne den Mann aus den Augen zu lassen: weiche, milchige Nüsse, noch voller Saft. Da ist auch eine junge Frau, sie betrachten einander mit großen Augen. Die junge Frau bringt eine hölzerne Schüssel mit dicker Graupensuppe heraus. ‹Da, setz dich auf die Bank.› Die Frau setzt sich neben sie, das Kind nimmt vor ihr Aufstellung und betrachtet sie neugierig. ‹Bist du ganz allein auf der Wanderschaft – als Frau?› , fragt die Häuslerin. ‹Es hat mich keiner gefragt, ob es mir recht ist› , antwortet die Bettlerin. ‹Lebst du allein hier mit den Kindern und nur dem Großvater?› – ‹Ja› , sagt die Häuslerin. ‹Mein Mann ist voriges Jahr zum Kriegsdienst eingezogen worden. Seither haben wir nichts mehr von ihm gehört. Es ist schwer für uns, die Felder zu bestellen, aber die Kinder helfen schon. Es muss eben gehen.› Die Bettlerin nickt höflich und mechanisch. Sie ist benommen, taub für alles seitdem   … Diese Nacht darf sie in der Scheune schlafen, trocken und halbwegs warm im Heu. Am Morgen sind die Grashalme und die abgefallenen Blätter mit Reif überhaucht. Der Winter kommt. Sie wandert weiter, gen Süden, und isst Nüsse im Laufen.
    Annik schaute aus der Küchentür und wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. Magdalène drängte sich an ihr vorbei und machte einen langen Hals: «Was machen sie da?»
    «Sie schaut verträumt, und er beobachtet sie», flüsterteAnnik. «So will er sie heilen? Indem er einfach neben ihr sitzt? Wie soll das gehen?»
    «Er soll sie dazu bringen, sich zu erinnern. Und ich glaube, er mag sie!»
    Annik kicherte: «Oh, bist du schon wieder bei deiner Lieblingsbeschäftigung? Du willst sie also verkuppeln!»
    «Psst, nein, ich doch nicht! So was darfst du nicht einmal

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