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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klee
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anders hättet handeln können. Es wäre schon besser, wenn die Frau zu ihrem Mann zurückkehrte, aber zwingen sollte man sie sicher nicht.» Calixtus strich sich mit der Hand über sein stoppeliges Gesicht. Er rasierte sich täglich. Eigentlich wäre es auch zweimal täglich vonnöten gewesen, aber sein Abt hätte ihm das als Zeichen der Eitelkeit untersagt.
    «Die ganze Angelegenheit ist recht unglücklich zu diesem Zeitpunkt. Abbé Grégoire wartet nur auf eine Gelegenheit, um euch unter seine direkte Aufsicht zu bringen.»
    «Schlimm genug, dass überhaupt eine Aufsicht gefordert ist, als seien wir Kinder, die nicht für sich selbst sorgen können», zürnte Anne. «Wir sind erwachsene Frauen, und viele von uns haben selbst schon Kinder gehabt.»
    «Aber ihr seid als alleinstehende Frauen doch Übergriffen ausgesetzt. Die Bulle Sacrosancta Romana Johannes’ XXII. hat ja gerade deshalb die Beginen unter den direkten Schutzdes Papstes gestellt – soweit sie in festen Häusern leben und nicht herumziehen; wenn sie ein keusches Leben führen, die Kirche besuchen und den Geistlichen gehorchen», wandte Calixtus ein.
    «Ein merkwürdiger Schutz ist das, der sich mehr und mehr wie eine Fessel ausnimmt!»
    «Ja, ich verstehe, was du meinst, liebe Schwester Anne. Aber es ist nun einmal so, dass es für Frauen nicht üblich ist, so zu leben, wie ihr es tut. Deshalb werdet ihr besonders scharf beobachtet.»
    «Ja, und deshalb gibt man auch keine Ruhe, bis wir wieder unter der Aufsicht von Männern sind!»
    Calixtus seufzte. «Mag sein. Aber ich bin euch doch noch nie anders als in innigster Freundschaft begegnet. Noch nie haben wir euch irgendwelche Vorschriften gemacht.»
    «Ja, das ist wahr. Wir haben immer auf Euren Rat gehört. Und wir kommen mit euch Franziskanern weitaus besser zurecht als mit dem Pfarrer. Wir leben doch auch wie ihr: In Armut und von unserer Hände Arbeit.»
    «Bedauerlicherweise schätzt Papst Clemens die Bettelorden nicht oder wenigstens die Spiritualen unter uns. Es ist ja noch nicht lange her, da galten wir Franziskaner als Aufrührer und halbe Ketzer – gerade wegen unseres Beharrens auf der Armut. Nun ja, einige verwirrte Brüder sind denn ja auch zu weit gegangen. Unglücklicherweise ist es Seiner Heiligkeit durchaus bewusst, dass ihr euch in vielen Dingen nach den Lehren Olivis ausrichtet, die ja postum für häretisch erklärt worden sind. Mit anderen Worten: Er traut uns nicht ganz und möchte die Zuständigkeit für ansässige Beginen lieber in den Händen des örtlichen Pfarrklerus sehen – auf jeden Fall möchte Abbé Grégoire, dass er es möchte.» Calixtus lächelte säuerlich. Es war bekannt, dass der Abbé und der Mönchszimmermann sich nicht ganz grün waren.«Er sucht nur nach einem Vorwand, um zu beweisen, dass ihr einer härteren Hand bedürft.»
    «O ja, der Fuchs möchte sich zum Beschützer der Hennen machen!», versetzte die Schreiberin.
    «Anne!», rief Juliana.
    «Aber so ist es doch: Wir leben nach Jesu Vorbild und nach dem Ideal der heiligen Martha, während Papst und Klerus sich im Reichtum wälzen, den sie zuvor den Armen abgepresst haben! In den Klöstern lebt man im Luxus. In Avignon bauen sie ein neues Babylon! Was wollen die uns schon über Gott erzählen?!»
    «So wie du haben schon viele gedacht. Und alle sind sie auf dem Scheiterhaufen geendet: die Bogumilen, Katharer, die Patarener, Apostelbrüder und die Brüder und Schwestern des Freien Geistes!»
    «Die Katharer waren ganz anders als wir. Wir haben auch nichts mit den Freigeistlern zu tun, die behaupten, die menschliche Seele stehe jenseits von Gut und Böse», warf Anne ein. «Marguerite Porete sagt   …»
    «Oh, schweig nur still von Marguerite Porete. Ihre Asche ist noch nicht kalt!» Es war deutlich, dass diese Diskussion nicht erst seit heute im Gange war.
    «Ihre Thesen wurden von drei berühmten Theologen für rechtgläubig erklärt!», wandte Anne ein.
    «Aber am Ende für häretisch befunden! Es mag ja gut gemeint gewesen sein, aber sie hat sich auf gefährliche Abwege begeben. Abgründe!»
    Calixtus und Anne standen sich kampflustig gegenüber. Juliana machte ein paar leise Schritte zum Schreibpult hin und verdeckte das dort zur Abschrift liegende Werk mit einem Tuch.
    «Liebe Schwester Anne», lenkte Calixtus jetzt ein. «Ich bin ja gar nicht gegen die Schriften der Porete, und mir istdurchaus bewusst, dass sie keine Ketzerin war, sondern nur eine Fanatikerin – hm, ja, vielleicht sogar

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